Kann eine in einem fernstraßenrechtlichen Planfeststellungsbeschluss vorgesehene Maßnahme des landschaftspflegerischen Begleitplans aus naturschutzfachlichen Gründen nur zu einer bestimmten Jahreszeit durchgeführt werden, so kann dies im Rahmen einer Interessenabwägung im Verfahren gemäß § 80 Abs. 5 VwGO (hier: auf einen Änderungsantrag gemäß § 80 Abs. 7 VwGO) den Sofortvollzug dieser Maßnahme rechtfertigen, sofern mit ihr keine vollendeten Tatsachen geschaffen werden, die bei einem Erfolg der Klage nicht mehr rückgängig zu machen wären (hier: Absammeln und Zwischenhältern von Zauneidechsen).

Gemäß § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO kann jeder Beteiligte bei dem Gericht der Hauptsache die Änderung oder Aufhebung eines Beschlusses gemäß § 80 Abs. 5 VwGO wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
Im hier vom Bundesvewrwaltungsgericht entschiedenen Fall hat der Antragsgegner derartige veränderte Umstände glaubhaft gemacht. Das Bundesverwaltungsgericht hat im vorangegangenen Verfahren[1] die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage der Antragsteller gegen den Planfeststellungsbeschluss des Antragsgegners im Wesentlichen damit begründet, dass seinerzeit bauliche Vollzugsmaßnahmen nicht vor März 2012 vorgesehen waren und zudem nach der politischen Beschlusslage des damaligen Senats des Landes Berlin ungewiss war, ob das streitgegenständliche Vorhaben verwirklicht werden sollte[2]. Nach den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus vom 18.09.2011 sind diese politischen Vorbehalte entfallen. Der neue Senat strebt die Verlängerung der A 100 im 16. Bauabschnitt an. Darüber hinaus hat der Antragsgegner anhand des geänderten aktuellen Bauablaufplans eine (wegen der politischen Beschlusslage damals noch nicht gegebene) zeitliche Eilbedürftigkeit der Umsetzung der streitgegenständlichen punktuellen artenschutzrechtlichen Vorabmaßnahme glaubhaft gemacht. Dass eine über bereits vorliegende Finanzmittel hinausgehende Zuweisung von Finanzmitteln aus dem Bundeshaushalt möglicherweise erst erfolgt, „wenn Baurecht vorliegt“, d.h. im Fall einer Abweisung der gegen den Planfeststellungsbeschluss erhobenen Anfechtungsklagen, entspricht der dem Bundesverwaltungsgericht bekannten Bewilligungspraxis und vermag die Eilbedürftigkeit der streitgegenständlichen Vorabmaßnahme selbst, ohne die sich die Verwirklichung des Planvorhabens um mindestens ein Jahr verzögern würde, nicht in Frage zu stellen.
Der vorliegende Eilantrag zwingt weder zu einer in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen summarischen Prüfung der Erfolgaussichten der Klagen der Antragsteller gegen den angefochtenen fernstraßenrechtlichen Planfeststellungsbeschluss noch zu einer – vorläufigen – Antwort auf die Frage, inwieweit die konkrete Vorabmaßnahme mit § 44 Abs. 1 Nr. 1 und 2, Abs. 5 und § 45 Abs. 7 BNatSchG 2010 vereinbar ist. Diese Prüfung kann dem Klageverfahren vorbehalten bleiben. Die vorliegende Entscheidung ergeht aufgrund einer Abwägung einerseits des Interesses des Antragsgegners an einer vorzeitigen Durchführung der streitgegenständlichen artenschutzrechtlichen Vorabmaßnahme, andererseits des Interesses der Antragsteller an einem weiteren Aufschub dieser Vorabmaßnahme.
Diese Interessenabwägung fällt zu Lasten der Antragsteller aus. Der Antragsgegner hat nachvollziehbar dargelegt, dass die hier im Rahmen der Schutz- und Minderungsmaßnahme Nr. 5 (S/M5) des landschaftspflegerischen Begleitplans und des artenschutzrechtlichen Fachbeitrags vorgesehene artenschutzrechtliche Vorabmaßnahme „Umsetzung der Zauneidechse“ aus naturschutzfachlichen Gründen nur zu einer bestimmten Jahreszeit, nämlich in zwei Schritten im Frühjahr (Anfang April bis Ende Mai) vor der Eiablage sowie im Herbst (September) nach dem Schlüpfen der Jungtiere und vor der Winterruhe, durchgeführt werden kann und dass sie eines zeitlichen Vorlaufs vor den baulichen Vollzugsmaßnahmen bedarf, andernfalls die Verwirklichung des Vorhabens sich deutlich (um mindestens ein Jahr) verzögern würde. Dieses gesteigerte Interesse an der vorzeitigen Verwirklichung dieses Teils der landschaftspflegerischen Begleitmaßnahmen rechtfertigt im Rahmen der hier anzustellenden Interessenabwägung die sofortige Vollziehung dieser punktuellen Vorabmaßnahme. Bei einer ordnungsgemäßen, durch die im angefochtenen Planfeststellungsbeschluss angeordnete ökologische Baubegleitung gesicherten Durchführung der Maßnahme werden zur Überzeugung des Senats weder Belange der Antragsteller noch naturschutzrechtliche Belange von Gewicht dauerhaft beeinträchtigt oder vollendete Tatsachen geschaffen, die bei einem etwaigen Erfolg ihrer Klagen nicht mehr rückgängig zu machen wären. Die abzufangenden Zauneidechsen sollen in der Zwischenzeit in artgerechten Freilandgehegen gehalten werden, bis eine artgerechte neue Ansiedlungsfläche hergestellt ist. Bei einem Erfolg der Klagen steht einer Rückführung der Tiere an ihren Herkunftsort nichts entgegen, da dort vor einer Entscheidung über die Klagen keine Veränderung ihrer bisherigen Lebensstätten, insbesondere keine Baufreimachung stattfinden soll.
Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 30. März 2012 – 9 VR 5.12
- BVerwG, Beschluss vom 31.03.2011 – 9 VR 2.11[↩]
- vgl. BVerwG, Beschluss vom 31.03.2011 a.a.O. Rn. 2[↩]