Die Beschränkung der Rügebefugnis anerkannter Umweltschutzvereinigungen auf „drittschützende“ Umweltvorschriften in § 2 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 UmwRG verstößt gegen Art. 10a der Richtlinie 85/337/EWG. Bis zur erforderlichen Anpassung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes können anerkannte Umweltschutzvereinigungen Verstöße gegen Umweltvorschriften, die aus Unionsrecht hervorgegangen sind, unmittelbar auf der Grundlage des Art. 10a Richtlinie 85/337/EWG rügen[1].

Die Unionsrechtskonformität der Präklusionsregelung in § 2 Abs. 3 UmwRG begegnet keinen eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof nach Art. 267 Abs. 3 AEUV erfordernden vernünftigen Zweifeln.
Nach § 2 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 UmwRG sind Rechtsbehelfe von Umweltschutzvereinigungen nach Absatz 1 begründet, soweit die Entscheidung nach § 1 Abs. 1 oder deren Unterlassen gegen Rechtsvorschriften, die dem Umweltschutz dienen, Rechte Einzelner begründen und für die Entscheidung von Bedeutung sind, verstößt und der Verstoß Belange des Umweltschutzes berührt, die zu den von der Vereinigung nach ihrer Satzung zu fördernden Zielen gehören. Die Rügebefugnis der Umweltschutzvereinigungen nach dem UmwRG ist nach dem Wortlaut des § 2 Abs. 5 UmwRG, der Entstehungsgeschichte sowie Sinn und Zweck der Norm offensichtlich schutznormakzessorisch ausgestaltet, d.h. die als verletzt gerügte Norm muss (auch) dem Schutz Dritter dienen. Diese Beschränkung der Rügebefugnis verstößt gegen Art. 10a der Richtlinie 85/337/EWG. Dies folgt aus dem Trianel-Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 12. Mai 2011[2]. Danach steht Art. 10a der Richtlinie 85/337/EWG Rechtsvorschriften entgegen, die einer Nichtregierungsorganisation im Sinne von Art. 1 Abs. 2 dieser Richtlinie, die sich für den Umweltschutz einsetzt, nicht die Möglichkeit zuerkennen, im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen eine Entscheidung, mit der Projekte, die im Sinne von Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 85/337/EWG „möglicherweise erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben“, genehmigt werden, vor Gericht die Verletzung einer Vorschrift geltend zu machen, die aus dem Unionsrecht hervorgegangen ist und den Umweltschutz bezweckt, weil diese Vorschrift nur die Interessen der Allgemeinheit und nicht die Rechtsgüter Einzelner schützt.
Eine richtlinienkonforme Auslegung des § 2 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 UmwRG scheidet mit Blick auf den ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers, der auch im eindeutigen Wortlaut der Norm zum Ausdruck kommt, aus. Bis zur erforderlichen Anpassung des UmwRG an die unionsrechtliche Rechtslage ist diese Vorschrift daher nicht anzuwenden und können sich anerkannte Umweltschutzvereinigungen bei der Rüge von Rechtsverletzungen – soweit es um Umweltvorschriften geht, die aus dem Unionsrecht hervorgegangen sind – unmittelbar auf Art. 10a der Richtlinie 85/337/EWG i.d.F. der Richtlinie 2003/35/EG stützen[3].
Ob das EuGH-Urteil vom 12. Mai 2011 so zu verstehen ist, dass nur für die Zulässigkeit von Verbandsklagen nach dem Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz die Rüge einer Verletzung aus dem Unionsrecht hervorgegangener umweltrechtlicher Vorschriften erforderlich ist, im Rahmen der Begründetheit dagegen die materiellrechtliche und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Entscheidung anhand des geltenden Umweltrechts vollumfänglich zu prüfen ist, ohne dass es noch darauf ankäme, ob das maßgebliche Umweltrecht sich auf unionsrechtliche oder auf nationale Vorgaben stützt, kann dahinstehen. Abgesehen davon, dass dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für eine solche Differenzierung nichts entnommen werden kann, kommt es hierauf vorliegend nicht an. Die vom Kläger im Revisionsverfahren (nur) noch geltend gemachten Verstöße gegen § 34 BNatSchG/§ 34 HeNatG und gegen § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BImSchG i.V.m. Art. 9 Abs. 4 IVU-Richtlinie betreffen unstreitig Rechtsvorschriften, die ihren Ursprung im Unionsrecht haben.
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 29. September 2011 – 7 C 21.09
- im Anschluss an EuGH, Urteil vom 12.05.2011 – C‑115/09, Rn. 56 bis 59, DVBl 2011, 757[↩]
- EuGH, Urtiel vom 12.05.2011 – C‑115/09 [Trianel][↩]
- EuGH, Urteil vom 12.05.2011 – C‑115/09, a.a.O.[↩]