Bei einer eingerichteten Umweltzone kommt eine Ausnahmegenehmigung nach § 1 Abs. 2 der 35. BImSchV für ein Kraftfahrzeug der Schadstoffgruppe 1 wegen privater Interessen in Baden-Württemberg von vornherein nicht in Betracht, wenn das Fahrzeug erst nach dem 31.10.2007 auf denjenigen zugelassen wurde, der die Ausnahmegenehmigung begehrt.

In einem jetzt vom Verwaltungsgericht Stuttgart entschiedenen Fall hat die Klägerin hat einen Betrieb in Schwäbisch Gmünd. Auf sie wurde am 13.11.2007 ein Lkw zugelassen, dessen Erstzulassung am 12.02.1991 war. Es handelt sich um ein Diesel-Fahrzeug. Zum 01.03.2008 wurde eine Umweltzone für Schwäbisch Gmünd eingerichtet. Die Klägerin hat ihren Betrieb außerhalb dieser Zone.
Die Klägerin beantragte am 27.01.2008 beim Landratsamt Ostalbkreis -Straßenverkehrsamt – für dieses Fahrzeug eine Ausnahmegenehmigung vom Fahrverbot in der Umweltzone Schwäbisch Gmünd für Fahrten zur Aufrechterhaltung von Fertigungs-und Produktionsprozessen. Sie sei zur Aufrechterhaltung des Betriebes gehalten, zweimal pro Woche Industrieartikel bei einer Firma im Gügling von Schwäbisch Gmünd aus anzuliefern. Eine Anlieferung bzw. Fahrt über Zimmern sei insbesondere im Winter nicht möglich. Auch seien die im Laufe des Jahres zurückzulegenden Umwege betrieblich nicht darstellbar. Der TÜV Süd bestätigte am 18.02.2008, dass für das Fahrzeug der Klägerin derzeit kein geeignetes Nachrüstungssystem verfügbar sei.
Das Landratsamt Ostalbkreis lehnte den Antrag: Die Fahrverbotsregelungen in Umweltzonen dienten, so das Landratsamt, vor allem der Bekämpfung der Feinstaubbelastung in Städten sowie in erster Linie dem Schutz der Gesundheit der Menschen, die an besonders belasteten Straßen wohnten und arbeiteten. Gemäß § 1 Abs. 2 der 35. BImSchV könne die zuständige Behörde den Verkehr mit nicht nach § 3 BImSchV gekennzeichneten Fahrzeugen von und zu bestimmten Einrichtungen zulassen, soweit dies im öffentlichen Interesse liege, vor allem wenn dies zur Versorgung der Bevölkerung mit lebensnotwendigen Gütern und Dienstleistungen notwendig sei oder überwiegende und unaufschiebbare Interessen Einzelner dies erforderten, insbesondere wenn Fertigungs- und Produktionsprozesse auf andere Weise nicht aufrechterhalten werden könnten. Das Umweltministerium Baden-Württemberg habe am 31.10.2007 eine Konzeption für eine landesweit möglichst einheitliche Erteilung von Ausnahmen erlassen. Danach könne für einen Halter eines Kraftfahrzeugs eine Ausnahme u. a. nur dann erteilt werden, wenn das Fahrzeug erstmals vor dem 01.11.2007 auf ihn zugelassen worden sei. Eine Ausnahme komme hier nicht in Betracht, da das Fahrzeug der Klägerin unstreitig nach dem 01.11.2007 auf sie zugelassen worden sei. Im Zeitpunkt der Zulassung und somit deutlich nach der Bekanntgabe des Starttermins für die Fahrverbote und der landesweiten Ausnahmekonzeption des Umweltministeriums sei allgemein bekannt gewesen, dass in Schwäbisch Gmünd eine Umweltzone eingerichtet werde. Wer in Kenntnis dieser Tatsache ein zur Schadstoffgruppe 1 gehörendes Kraftfahrzeug zulasse, wisse von vornherein, dass er damit die Umweltzone nicht befahren dürfe. Seine privaten Interessen müssten gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Bekämpfung der Feinstaubbelastung zurücktreten.
Dieser Ansicht stimmte das Verwaltungsgericht Stuttgart jetzt zu:
Die Klägerin darf mit ihrem Lkw ohne Ausnahmeerteilung die Umweltzone von Schwäbisch Gmünd nicht befahren. Diese Zone wurde aufgrund des Luftreinhalte-/Aktionsplans des Regierungspräsidiums Stuttgart (vgl. § 47 BImSchG) vom Mai 2006 und der in der Folge durch die Straßenverkehrsbehörde gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 BImSchG durchgeführten Maßnahmen rechtmäßig eingerichtet. Da der Lkw der Klägerin zur Schadstoffklasse 1 nach dem Anhang 2 der 35. BImSchV (vgl. § 2 Abs. 2 der 35. BImSchV) gehört, kann ihr keine Plakette nach Anhang 1 der 35. BImSchV erteilt werden. Daher ist sie gemäß § 2 Abs. 1 der 35. BImSchV nicht vom Verkehrsverbot im Sinne von § 40 Abs. 1 BImSchG befreit. Ihr Lkw ist aber auch nicht nach § 2 Abs. 3 der 35. BImSchV vom Verkehrsverbot nach § 40 Abs. 1 BImSchG ausgenommen, weil er nicht in Anhang 3 der 35. BImSchV aufgeführt ist.
Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Ausnahme nach § 1 Abs. 2 der 35. BImSchV (vgl. auch § 40 Abs. 1 Satz 2 BImSchG). Nach dieser Vorschrift kann die zuständige Behörde – hier: das Landratsamt Ostalbkreis – den Verkehr mit von Verkehrsverboten im Sinne des § 40 Abs. 1 BImSchG betroffenen Fahrzeugen von und zu bestimmten Einrichtungen zulassen, soweit dies im öffentlichen Interesse liegt oder überwiegende und unaufschiebbare Interessen Einzelner dies erfordern, insbesondere wenn Fertigungs- und Produktionsprozesse auf andere Weise nicht aufrechterhalten werden können.
Es bedarf keiner weiteren Begründung, dass ein öffentliches Interesse an der Ausnahme nicht existiert. Überwiegende oder unaufschiebbare Interessen der Klägerin erfordern die Ausnahmeerteilung ebenfalls nicht. Da es bei der vorliegenden Verpflichtungsklage auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ankommt, ist der ermessenslenkende Erlass des Umweltministeriums Baden-Württemberg vom 30. November 2009 mit den Erläuterungen dazu (ebenfalls vom 30.11.2009) zu beachten. Zwar handelt es sich dabei um keine Rechtsvorschriften, jedoch machen sie den zuständigen Behörden bindende Vorgaben für die Ausnahmen von Fahrverboten; diese gewinnen in Verbindung mit dem Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) rechtliche Bedeutung. Nach II. B. 1.2 des Erlasses kann für den Halter eines Kraftfahrzeuges ohne Plakette (Schadstoffgruppe 1) eine Ausnahmegenehmigung nur erteilt werden, wenn das Fahrzeug erstmals vor dem 01.11.2007 auf ihn zugelassen wurde. Unter 1. der Erläuterungen heißt es dazu, dass am 31.10.2007 der Starttermin für die ersten Fahrverbote und die landesweite Ausnahmekonzeption vom Umweltministerium verkündet worden sei.
Diese Erwägung zur Ermessensausübung begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Ab 31.10.2007 stand fest, dass Fahrzeuge ohne Plakette in naher Zukunft nicht mehr in den Umweltzonen des Landes fahren dürfen. Der Starttermin fand in den Medien breite Aufmerksamkeit und konnte von allen Verkehrsteilnehmern daher ohne weiteres zur Kenntnis genommen werden. Wenn ein Eigentümer und Halter eines Kraftfahrzeugs der Schadstoffgruppe 1 dieses erst nach dem 31.10.2007 zuließ, konnte er von vornherein nicht davon ausgehen, es ohne Einschränkungen landesweit nutzen zu können. Dieser „Mangel“ dürfte sich übrigens auch bei den Preisen von Gebrauchtfahrzeugen der Schadstoffgruppe 1 ausgewirkt haben. Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass der Beklagte den 31.10.2007 als Stichtag für die Zulassung nimmt und danach keine Ausnahmegenehmigungen mehr erteilt. Das Fahrzeug der Klägerin wurde aber erst am 13.11.2007 auf sie zugelassen. Bereits aus diesem Grund war die Klage abzuweisen.
Darüber hinaus weist das Verwaltungsgericht Stuttgart die Kammer zusätzlich darauf hin, dass auch keine überwiegenden und unaufschiebbaren Interessen vorliegen. Die Vertreterin des Landratsamts Ostalbkreis hat dem Gericht in der mündlichen Verhandlung anhand einer Straßenkarte gezeigt, dass es zu allen Jahreszeiten möglich ist, die Fabrik im Gügling von Schwäbisch Gmünd aus zu beliefern, ohne durch die Umweltzone zu fahren. Hierzu muss auch nicht zwingend die enge Straße über Zimmern befahren werden. Der Lkw der Klägerin muss zwar einen Umweg fahren, jedoch hält sich dieser noch in zumutbaren Grenzen. Hierfür spricht auch, dass seit Einrichtung der Umweltzone von Schwäbisch Gmünd mehr als zweieinhalb Jahre vergangen sind; in dieser Zeit hat die Klägerin die Fabrik im Gügling anscheinend beliefern können, ohne dass es zu größeren Unzuträglichkeiten gekommen ist. Jedenfalls wusste der Prozessbevollmächtigte der Klägerin in der mündlichen Verhandlung auf Nachfrage nichts von solchen Unzuträglichkeiten zu berichten.
Durch die Einschränkungen in der Nutzung ihres Lkw wird die Klägerin nicht in ihren Grundrechten verletzt, insbesondere nicht in ihrem Eigentumsrecht (Art. 14 GG)[1].
Verwaltungsgericht Stuttgart, Urteil vom 19. Oktober 2010 – 6 K 361/10
- vgl. VG Stuttgart, Urteil vom 16.06.2009 – 6 K 1387/09, ZUR 2009, 502; der VGH Baden-Württemberg hat es durch Beschluss vom 19.11.2009 – 10 S 1677/09 – abgelehnt, die Berufung gegen dieses Urteil zuzulassen.[↩]