§ 17 Abs. 1 Satz 1 BImSchG ermächtigt nur zu nachträglichen Anordnungen zur Erfüllung von Pflichten, die sich aus dem Bundes-Immissionsschutzgesetz und der aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen ergeben. Die nachträgliche Durchsetzung anderer öffentlich-rechtlicher Pflichten richtet sich nach dem jeweils einschlägigen Fachrecht[1].

Eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb von Windenergieanlagen steht der Heranziehung von § 3 Abs. 2 BNatSchG als Rechtsgrundlage für nachträgliche Anordnungen zur Durchsetzung naturschutzrechtlicher Verbote nicht generell entgegen.
Die Befugnis der Naturschutzbehörde zum Erlass nachträglicher Anordnungen nach § 3 Abs. 2 BNatSchG findet bei immissionsschutzrechtlich genehmigten Anlagen ihre Grenzen in der Gestattungs- und Feststellungswirkung der Genehmigung und den Vorschriften über deren Aufhebung. Nachträgliche Änderungen der Sach- und Rechtslage werden von der Feststellungswirkung der Genehmigung nicht umfasst[2].
Bei der Bestimmung dynamischer Betreiberpflichten – hier aus § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG – sind neue Erkenntnisse über die Auswirkungen einer Anlage stets zu berücksichtigen. Neue Tatsachen können sich daraus ergeben, dass die Auswirkungen des Betriebs einer Anlage nicht mehr nur – wie bei der Erteilung der Genehmigung – prognostisch ermittelt und folglich abgeschätzt, sondern nach Errichtung und Inbetriebnahme auf der Grundlage empirischer Nachweise verlässlicher bestimmt werden können[3].
Nutzungsmöglichkeiten, die Anlagen an anderen Standorten bieten, sind schon tatbestandlich keine Alternativen (§ 45 Abs. 7 Satz 2 BNatSchG) zur Nutzung bestehender Anlagen, die mit nachträglichen Betriebsbeschränkungen belegt werden. Zwischen solchen Anlagen besteht kein Alternativ, sondern ein Ergänzungsverhältnis.
Der Anordnung von Abschaltzeiten gestützt auf § 3 Abs. 2 BNatSchG stehen die Regelungen des Umweltschadensgesetzes nicht entgegen. Nach den von der Anlagenbetreiberin nicht angegriffenen und für das Revisionsgericht mithin bindenden (§ 137 Abs. 2 VwGO) tatrichterlichen Feststellungen ist ein Umweltschaden in Gestalt eines Biodiversitätsschadens (§ 2 Nr. 1 Buchst. a USchadG i. V. m. § 19 BNatSchG)[4], der Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Umweltschadensgesetzes ist, nicht eingetreten.
§ 17 Abs. 1 Satz 1 BImSchG kommt als – gegebenenfalls vorrangige – Rechtsgrundlage für den Bescheid der Erlaubnisbehörde vom 25.02.2021 tatbestandlich nicht in Betracht. Die Vorschrift ermächtigt zu nachträglichen Anordnungen zur Erfüllung der sich aus dem Bundes-Immissionsschutzgesetz und der aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen ergebenden Pflichten. Zu diesen immissionsschutzrechtlichen Pflichten gehört das im Bundesnaturschutzgesetz geregelte artenschutzrechtliche Tötungs- und Verletzungsverbot des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG nicht. Andere öffentlich-rechtliche Vorschriften können nachträglich nicht auf § 17 Abs. 1 BImSchG gestützt durchgesetzt werden, sondern nur auf der Grundlage des jeweils einschlägigen Fachrechts[5], hier also des Naturschutzrechts.
Die für Errichtung und Betrieb der Windenergieanlagen der Anlagenbetreiberin erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung steht der Heranziehung von § 3 Abs. 2 BNatSchG als Rechtsgrundlage für nachträgliche Anordnungen zur Durchsetzung naturschutzrechtlicher Verbote – hier des artenschutzrechtlichen Tötungs- und Verletzungsverbots gemäß § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG – nicht generell entgegen. Die Befugnis der Naturschutzbehörden zum Erlass nachträglicher artenschutzrechtlicher Anordnungen nach § 3 Abs. 2 BNatSchG zulasten immissionsschutzrechtlich genehmigter Anlagen findet ihre Grenzen jedoch in der Tatbestandswirkung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung sowie in den gesetzlichen Vorschriften zu deren Aufhebung durch die Immissionsschutzbehörde.
Nach § 3 Abs. 2 BNatSchG überwachen die für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörden die Einhaltung der Vorschriften des Bundesnaturschutzgesetzes und der aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Vorschriften und treffen nach pflichtgemäßem Ermessen die im Einzelfall erforderlichen Maßnahmen, um deren Einhaltung sicherzustellen, soweit nichts anderes bestimmt ist. Zu diesen Vorschriften gehört auch das artenschutzrechtliche Tötungs- und Verletzungsverbot gemäß § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG. Es bezieht sich auf alle Verhaltensweisen, die den rechtlich missbilligten Erfolg in zurechenbarer Weise verursachen. Das können auch Errichtung und Betrieb einer immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftigen Anlage sein (vgl. auch § 44 Abs. 5, §§ 45b, 45c BNatSchG).
Die Verwirklichung des Verbotstatbestands wird durch das Vorliegen einer – wie hier – bestandskräftigen Anlagengenehmigung nicht generell ausgeschlossen. Die artenschutzrechtlichen Zugriffsverbote nach § 44 Abs. 1 BNatSchG erschöpfen sich nicht in ihrer Funktion als Zulassungsvoraussetzung (vgl. § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG). Sie begründen vielmehr auch und in erster Linie unmittelbar und dauerhaft geltende, sanktionsbewährte (vgl. § 69 Abs. 2, § 71 Abs. 1, § 71a Abs. 1 BNatSchG) Verhaltenspflichten. Zwar ist aufgrund der Tatbestandswirkung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung der genehmigte Anlagenbetrieb auch im Hinblick auf § 44 Abs. 1 BNatSchG als rechtmäßig anzusehen. Das gilt aber nur in den Grenzen der auf den Zeitpunkt der Genehmigungserteilung bezogenen Feststellungswirkung der Genehmigung. Eine generelle, auch nachträgliche Veränderungen einschließende Freistellung genehmigter Vorhaben von artenschutzrechtlichen Verboten wäre mit den zugrundeliegenden unionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 12, 13, 16 FFH-RL und Art. 5, 9 VS-RL unvereinbar[6]. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union rechtfertigt der Umstand, dass eine Handlung als solche rechtmäßig ist, keine Abweichung von Verboten[7]. Jeder Eingriff, der geschützte Arten betrifft, darf nur auf der Grundlage von Entscheidungen genehmigt werden, die mit einer genauen und angemessenen Begründung versehen sind, in der auf die in Art. 16 FFH-RL, Art. 9 VS-RL für zulässige Abweichungen vorgesehenen Gründe, Bedingungen und Anforderungen Bezug genommen wird[8].
Deshalb können durch eine immissionsschutzrechtlich genehmigte Anlage hervorgerufene Beeinträchtigungen von Exemplaren besonders geschützter Arten nicht pauschal einem „allgemeinen Lebensrisiko“ unterhalb der in § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG vorausgesetzten Signifikanzschwelle zugeordnet werden. Zugleich zeigt sich hierin die von der Anlagenbetreiberin in Abrede gestellte Dynamik der Pflichtenstellung des Betreibers einer genehmigten Anlage in Bezug auf die Einhaltung des artenschutzrechtlichen Tötungs- und Verletzungsverbots. Mit Blick auf nachträgliche Rechtsänderungen hat das Bundesverwaltungsgericht bereits entschieden, dass der Umstand, dass das Bundes-Immissionsschutzgesetz im Bereich der öffentlich-rechtlichen Vorschriften im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG weder eine ausdrückliche Anpassungspflicht bestimmt noch spezielle Ermächtigungsgrundlagen für die Umsetzung nachträglicher Änderungen vorsieht, nicht den Schluss rechtfertigt, dass die Anlagen insoweit größeren Schutz genießen als im Bereich der dynamischen Betreiberpflichten nach § 5 BImSchG. Die Verpflichtung zu nachträglichen Änderungen beurteilt sich im Anwendungsbereich des § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG vielmehr nach dem jeweils einschlägigen Fachrecht[9]. Nichts anderes gilt für tatsächliche Änderungen im Anwendungsbereich des § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG. Auch insoweit richten sich Bestehen und Reichweite einer Anpassungspflicht sowie deren Durchsetzung nach fachrechtlichen Bestimmungen, hier also nach § 44 Abs. 1 und § 3 Abs. 2 BNatSchG.
Die Befugnis der Naturschutzbehörden zum Erlass nachträglicher artenschutzrechtlicher Anordnungen nach § 3 Abs. 2 BNatSchG zulasten immissionsschutzrechtlich genehmigter Anlagen findet jedoch ihre Grenze in der Tatbestandswirkung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung. Ein Verwaltungsakt entfaltet, solange er nicht aufgehoben ist, mit der in ihm verbindlich mit Wirkung nach außen getroffenen Regelung Bindungswirkung auch gegenüber anderen Behörden (sog. Tatbestandswirkung; vgl. BVerwG, Urteil vom 08.11.2022 – 7 C 7.21, BVerwGE 177, 13 Rn. 22 m. w. N.). Die immissionsschutzrechtliche Genehmigung hat Gestattungs- und Feststellungswirkung. Zum einen gestattet sie die Errichtung und den Betrieb der genehmigten Anlage. Zum anderen stellt sie fest, dass die Anlage mit den zum Zeitpunkt der Genehmigungserteilung geltenden, zum Prüfprogramm nach § 6 Abs. 1 BImSchG gehörenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften vereinbar ist[10]. Insoweit lässt sich auch von einer Legalisierungswirkung der Genehmigung sprechen[11]. Aufgrund der Anknüpfung an den Zeitpunkt der Genehmigungserteilung erstreckt sich die Feststellungswirkung jedoch nicht auf nachträgliche Änderungen der Sach- oder Rechtslage[12].
Im Immissionsschutzrecht gibt es keinen allgemeinen Grundsatz, wonach dem Anlagenbetreiber eingeräumte Rechtspositionen trotz wesentlicher Änderungen der Sach- oder Rechtslage zu belassen seien und nur gegen Entschädigung entzogen werden dürften[13]. Dass dabei der durch die immissionsschutzrechtliche Genehmigung vermittelte Bestandsschutz im Bereich der öffentlich-rechtlichen Vorschriften im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG nicht weiter reicht, als im Bereich der dynamischen Betreiberpflichten nach § 5 BImSchG, die Verpflichtung zu nachträglichen Änderungen sich insoweit vielmehr nach dem jeweils einschlägigen Fachrecht beurteilt, wurde bereits ausgeführt. Danach ist die Auffassung der Anlagenbetreiberin, der „dynamische Bestandsschutz“ der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung erstrecke sich nicht auf den Anwendungsbereich des § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG, jedenfalls im Falle einer – wie hier gemäß § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG – kraft Fachrechts dynamischen Pflicht unzutreffend. Schon deshalb verfängt es auch nicht, wenn die Anlagenbetreiberin meint, die artenschutzrechtliche Prüfung sei der gemäß § 13 BImSchG einkonzentrierten Baugenehmigung und deren Feststellungswirkung zuzuordnen. Der baurechtliche Bestandsschutz wird durch den immissionsschutzrechtlichen Bestandsschutz überlagert und eingeschränkt[14].
Eine weitere Grenze findet die Befugnis der Naturschutzbehörden zum Erlass nachträglicher Anordnungen nach § 3 Abs. 2 BNatSchG darin, dass die Anordnung keine (Teil-)Aufhebung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung bewirken darf. Derartige Regelungen dürfen nur gestützt auf § 21 BImSchG (Widerruf) oder § 48 VwVfG (Rücknahme) – und unter Wahrung der dort geregelten besonderen Voraussetzungen (u. a. den von der Anlagenbetreiberin angesprochenen Fristen) – von der dafür zuständigen immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbehörde erlassen werden[15].
Nicht vollständig im Einklang mit Bundesrecht stehen die beiden Kriterien, anhand derer das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht[16] bestimmt, ob eine Maßnahme, mit der – wie hier – nachträglich die Betriebszeiten von Windenergieanlagen eingeschränkt werden, als teilweiser Widerruf der Anlagengenehmigung zu qualifizieren ist. Danach sei zum einen darauf abzustellen, ob sich die Maßnahme bei Genehmigungserteilung als inhaltliche Einschränkung bzw. Teilversagung der Genehmigung und nicht lediglich als Nebenbestimmung dargestellt hätte. Zum anderen sei maßgeblich, ob mit der behördlichen Maßnahme eine unverhältnismäßige Einschränkung der Betriebszeiten, also ein Eingriff in den Genehmigungskern, verbunden sei.
Das erste Kriterium ist prinzipiell zutreffend, das zweite hingegen nicht. Auf die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen kann es für die Abgrenzung zwischen nachträglicher Anordnung und (Teil-)Widerruf der Genehmigung nicht ankommen. Das gilt auch im Verhältnis von § 17 BImSchG zu § 21 BImSchG, sodass eine vom Oberverwaltungsgericht befürwortete Übertragung einer – vermeintlichen – immissionsschutzrechtlichen Wertung auf das Verhältnis von § 3 Abs. 2 BNatSchG zu § 21 BImSchG ausscheidet. Zwar darf nach § 17 Abs. 2 Satz 1 BImSchG eine nachträgliche Anordnung nicht getroffen werden, wenn sie unverhältnismäßig ist. In diesem Fall soll nach § 17 Abs. 2 Satz 2 BImSchG die zuständige Behörde die Genehmigung unter den Voraussetzungen des § 21 Abs. 1 Nr. 3 bis 5 BImSchG ganz oder teilweise widerrufen. Daraus lässt sich aber weder schließen, dass die Anordnung von Maßnahmen, die mit einem unverhältnismäßigen Aufwand verbunden wären, als Genehmigungswiderruf zu qualifizieren ist[17], noch ist der umgekehrte Schluss gerechtfertigt, bei einem noch verhältnismäßigen Aufwand sei die Anordnung nicht als teilweiser Entzug der Gestattung anzusehen[18]. Denn die (Qualifikations-)Frage nach der Rechtsnatur einer behördlichen Verfügung als nachträgliche Anordnung gemäß § 17 BImSchG oder als Widerruf gemäß § 21 BImSchG ist der Frage nach der Verhältnismäßigkeit einer nachträglichen Anordnung und der daraus folgenden Regelverpflichtung („soll“) zum Genehmigungswiderruf gemäß § 17 Abs. 2 BImSchG vorgelagert[19].
Die Abgrenzung muss nach dem Inhalt der behördlichen Entscheidung bezogen auf eine erteilte Genehmigung erfolgen. Über die exakte Grenzziehung herrscht allerdings Unsicherheit[20]. Weitgehende Einigkeit besteht dahin, dass Eingriffe in den Genehmigungskern als Teilwiderruf zu qualifizieren sind[21]. Dies ermöglicht freilich nur eine erste Annäherung an eine Abgrenzung. Indes bedarf die Frage auch hier keiner abschließenden Klärung. Denn es ist – mit dem Oberverwaltungsgericht – davon auszugehen, dass jedenfalls dann nur eine nachträgliche Anordnung und kein Teilwiderruf vorliegt, wenn sich die betreffende Regelung bei Genehmigungserteilung lediglich als Nebenbestimmung und nicht als inhaltliche Einschränkung bzw. Teilversagung der Genehmigung dargestellt hätte[22]. Bei der in einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für eine Windenergieanlage getroffenen Regelung, die Anlage aus Gründen des Artenschutzes zu bestimmten Zeiten abzuschalten, handelt es sich regelmäßig um eine Nebenstimmung in Form einer Auflage, nicht um eine Inhaltsbestimmung[23].
Danach ist die Einschätzung des Oberverwaltungsgerichts, die hier streitige Abschaltanordnung sei nicht als Teilwiderruf der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung zu qualifizieren, weil sie sich bei Genehmigungserteilung als Nebenbestimmung dargestellt hätte, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Soweit es in diesem Zusammenhang zusätzlich die Verhältnismäßigkeit der Anordnung geprüft hat, verstößt dies zwar gegen Bundesrecht, weil es darauf – wie ausgeführt – für die Abgrenzung von nachträglicher Anordnung und Widerruf nicht ankommt. Da das Oberverwaltungsgericht aber auch mit diesem zusätzlichen Kriterium einen Teilwiderruf verneint hat, erweist sich das angefochtene Urteil insoweit im Ergebnis als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO).
Es unterliegt auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dem Artenschutz dienende nachträgliche Beschränkungen des Betriebs immissionsschutzrechtlich genehmigter Anlagen auf die generalklauselartige Ermächtigung des § 3 Abs. 2 BNatSchG zu stützen. Das gilt insbesondere im Hinblick auf die von der Anlagenbetreiberin für ihren gegenteiligen Standpunkt angeführte sogenannte Wesentlichkeitstheorie[24]. Der damit angesprochene verfassungsrechtliche Vorbehalt des Gesetzes verlangt, dass der Gesetzgeber in grundlegenden normativen Bereichen, zumal im Bereich der Grundrechtsausübung, alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen hat und nicht dem Handeln und der Entscheidungsmacht der Exekutive überlassen darf. Dies betrifft nicht nur die Frage, ob überhaupt ein bestimmter Gegenstand gesetzlich geregelt sein muss, sondern ist auch dafür maßgeblich, wie weit diese Regelungen im Einzelnen gehen müssen[25]. Diese Vorgaben stehen in enger Beziehung zum Bestimmtheitsgebot, das sicherstellen soll, dass Regierung und Verwaltung im Gesetz steuernde und begrenzende Handlungsmaßstäbe vorfinden und die Gerichte eine wirksame Rechtskontrolle durchführen können. Ferner erlauben die Bestimmtheit und Klarheit der Norm, dass betroffene Bürgerinnen und Bürger sich auf mögliche belastende Maßnahmen einstellen können[26]. Welche Anforderungen an die Bestimmtheit gesetzlicher Regelungen zu stellen sind, richtet sich auch nach der Intensität der durch die Regelung oder aufgrund der Regelung erfolgenden Grundrechtseingriffe. Es reicht aus, wenn sich im Wege der Auslegung der einschlägigen Bestimmung mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregeln feststellen lässt, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die in der Rechtsnorm ausgesprochene Rechtsfolge vorliegen[27].
Aus § 3 Abs. 2 i. V. m. § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG ergibt sich mithilfe anerkannter Auslegungsmethoden mit hinreichender Klarheit, dass und innerhalb welcher Grenzen die naturschutzrechtliche Generalklausel auch dann zur Konkretisierung und Durchsetzung der aus dem artenschutzrechtlichen Tötungs- und Verletzungsverbot resultierenden Verhaltenspflichten anwendbar ist, wenn dies zu einer Beschränkung des Betriebs einer bestandskräftig immissionsschutzrechtlich genehmigten Anlage führt.
Die angeordneten Abschaltzeiten stellen die im Sinne des § 3 Abs. 2 BNatSchG erforderliche Maßnahme dar, um die Einhaltung dieser Verbotsvorschrift sicherzustellen.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist der Tatbestand des Tötungs- und Verletzungsverbots nach § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG mit Blick auf die bei einer Windkraftanlage nie völlig auszuschließende Gefahr von Kollisionen mit geschützten Tieren nur dann erfüllt, wenn das Vorhaben dieses Risiko in einer für die betroffene Tierart signifikanten Weise erhöht (vgl. nunmehr § 44 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BNatSchG). Das anhand einer wertenden Betrachtung auszufüllende Kriterium der Signifikanz trägt dem Umstand Rechnung, dass für Tiere bereits vorhabenunabhängig ein allgemeines Tötungs- und Verletzungsrisiko besteht, welches sich nicht nur aus dem allgemeinen Naturgeschehen ergibt, sondern auch dann sozialadäquat sein kann und deshalb hinzunehmen ist, wenn es zwar vom Menschen verursacht ist, aber nur einzelne Individuen betrifft. Denn tierisches Leben existiert nicht in einer unberührten, sondern in einer von Menschen gestalteten Landschaft. Nur innerhalb dieses Rahmens greift der Schutz des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG. Eine signifikante Steigerung des Tötungsrisikos erfordert Anhaltspunkte dafür, dass sich dieses Risiko durch den Betrieb einer Anlage deutlich steigert; dafür genügt weder, dass einzelne Exemplare etwa durch Kollisionen zu Schaden kommen, noch, dass im Eingriffsbereich überhaupt Exemplare betroffener Arten angetroffen worden sind. Dieser Maßstab gilt gleichermaßen für die Genehmigung von Vorhaben wie für nachträgliche artenschutzrechtliche Anordnungen[28].
Eine gesetzliche Konkretisierung des Signifikanzkriteriums, wie sie sich nunmehr in Bezug auf Exemplare kollisionsgefährdeter Brutvogelarten nach Maßgabe der Übergangsbestimmungen in § 74 Abs. 4 und 5 BNatSchG in § 45b Abs. 1 bis 5 BNatSchG findet, existiert für hier in Rede stehende Fledermausarten nicht. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kommt eine signifikante Erhöhung des Risikos kollisionsbedingter Verluste bei Fledermäusen jedenfalls dann in Betracht, wenn durch das Vorhaben Hauptflugrouten oder bevorzugte Jagdgebiete betroffen sind[29]. Hiervon ist auch das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht ausgegangen.
Auf dieser Grundlage hat es festgestellt, dass in dem von der Abschaltanordnung erfassten Szenario ein uneingeschränkter Betrieb der noch in Streit stehenden WEA 6, 9 und 11 der Anlagenbetreiberin zulasten geschützter Fledermausarten gegen das Tötungs- und Verletzungsverbot nach § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG verstößt. Das Oberverwaltungsgericht stützt dies vorrangig auf das auch dem angefochtenen Bescheid zugrunde gelegte Kartiergutachten und hält unter Bezugnahme auf dieses Gutachten fest, dass die Standorte der WEA 6 und 11 im Bereich von bevorzugten Jagdgebieten der Breitflügel, der Zwerg- sowie der Rauhautfledermaus liegen. Totfunde von Fledermäusen kämen hinzu. Hinsichtlich der WEA 11 legt das Oberverwaltungsgericht seiner Feststellung die Beobachtung jagender Breitflügelfledermäuse, den Einzelnachweis einer Zwergfledermaus sowie sieben Totfunde von Fledermäusen zugrunde.
Die Ausführungen des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts lassen deutlich werden, dass es jedenfalls an der Plausibilität der von der Erlaubnisbehörde dem angefochtenen Bescheid zugrunde gelegten fachlichen Einschätzungen keinen Zweifel hegt. Der insoweit angelegte Prüfungsmaßstab steht ebenso mit Bundesrecht in Einklang wie die hiermit verbundene tatrichterliche Billigung der Abweichung des Kartiergutachtens von den Empfehlungen des niedersächsischen Artenschutzleitfadens. Die Methode der Bestandserfassung für die artenschutzrechtliche Prüfung und die Maßstäbe für die Bestimmung der Signifikanz des Tötungsrisikos für Fledermäuse infolge des Betriebs von Windenergieanlagen sind nicht normativ festgelegt[30]. Entgegen der Auffassung der Anlagenbetreiberin fehlt es insoweit auch an einem allgemein anerkannten fachwissenschaftlichen Standard. So sind für die Erfassung von Fledermäusen zahlreiche einschlägige Arbeitshilfen und Leitfäden erarbeitet worden, die einen Methodenmix aus Habitatanalyse und Geländeuntersuchungen unter Einsatz von Detektoren, Horchboxen, Netzfängen etc. vorsehen und dabei – soweit sie nur regionale Geltung beanspruchen – auf die naturräumlichen Gegebenheiten einer Region abgestimmt sind[31]. Auch die Ausarbeitung „Übergeordnete Kriterien zur Bewertung der Mortalität wildlebender Tiere im Rahmen von Projekten und Eingriffen“ von Bernotat und Dierschke, 4. Fassung, Stand 31.08.2021 (hierzu ausführlich BVerwG, Urteile vom 05.07.2022 – 4 A 13.20, BVerwGE 176, 39 Rn. 30; und vom 31.03.2023 – 4 A 10.21 122 ff.), setzt für die Bewertung der Kollisionsgefährdung von Fledermäusen an Windenergieanlagen keinen einheitlichen Standard, sondern spricht den gerichtlich anerkannten Leitfäden ausdrücklich den Vorrang zu.
Dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht ist auch kein im Revisionsverfahren zu berücksichtigender Fehler bei seiner tatrichterlichen Überzeugungsbildung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) unterlaufen, indem es hinsichtlich der in Betrieb befindlichen Windenergieanlagen für maßgeblich erachtet hat, dass sich durch drei repräsentative Detektorbegehungen und eine Dauererfassung mittels Batcorder sowie über Jahre hinweg gemeldete Totfunde Erkenntnisse ergeben hätten, die für die Bejahung eines Verstoßes gegen § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG ausreichend seien. Hinsichtlich der Nichtanwendung des niedersächsischen Artenschutzleitfadens hat das Oberverwaltungsgericht zutreffend dargelegt, dass sich dieser an der bei Planung und Genehmigung einer Windenergieanlage gegebenen Sachlage orientiert, in der es der Prognose zukünftig zu erwartender Beeinträchtigungen und einer hieran orientierten Untersuchungsmethodik bedarf, die sicherstellt, dass nichts Wesentliches übersehen wird. Eine solche Prognosesituation unterscheidet sich grundlegend von derjenigen, in der – wie hier – der Ist-Zustand während des laufenden Betriebs einer Windenergieanlage zu ermitteln ist. Ausweislich des im Urteil auszugsweise zitierten Kartiergutachtens sind bei der Dauererfassung entlang eines mit einer Baumreihe versehenen Feldweges in unmittelbarer Nähe der WEA 6 und 9 in insgesamt 67 Nächten sehr hohe oder sogar äußerst hohe Fledermausaktivitäten nachgewiesen worden. Am Standort der WEA 11 sind zudem jagende Breitflügelfledermäuse festgestellt und sieben Totfunde gemeldet worden. Angesichts dieser Tatsachengrundlage verstößt es weder gegen allgemeine Erfahrungssätze noch gegen Denkgesetze, ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko zu bejahen.
Der weitere Einwand der Anlagenbetreiberin, die im Bereich der Windenergieanlagen der Anlagenbetreiberin festgestellten Fledermausvorkommen hätten ihre Ursache (möglicherweise) in einem konzentrierten Zugereignis, ist tatsächlicher Natur. Als solcher kann er nicht gehört werden. Eine auf die diesbezüglichen Tatsachenfeststellungen des Oberverwaltungsgerichts bezogene Verfahrensrüge hat die Anlagenbetreiberin, die lediglich in allgemeiner Weise auf die Ablehnung von Beweisanträgen verweist, nicht wirksam erhoben. Mithin sind die tatsächlichen Feststellungen für das Bundesverwaltungsgericht bindend (§ 137 Abs. 2 VwGO).
Ebenfalls ohne Verstoß gegen Bundesrecht hat das Oberverwaltungsgericht im vorliegenden Fall angenommen, dass die für Errichtung und Betrieb der Windenergieanlagen der Anlagenbetreiberin erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung vom 03.11.2006, geändert durch Bescheid vom 14.08.2007, dem Einschreiten nach § 3 Abs. 2 BNatSchG auch nicht deshalb entgegensteht, weil sich der Verstoß gegen das Tötungs- und Verletzungsverbot aus neuen, sukzessive erst ab dem Jahr 2012 (Meldung von Totfunden) und insbesondere im Jahr 2019 (Fledermausnachweise und Jagdgebiete gemäß Kartiergutachten) gewonnenen Erkenntnissen ergebe. Dies steht im Einklang mit den dargestellten Grundsätzen, wonach sich die Feststellungswirkung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung aufgrund ihrer Anknüpfung an den Zeitpunkt der Genehmigungserteilung jedenfalls nicht auf nachträgliche Änderungen der Sach- oder Rechtslage erstreckt.
Es kann offenbleiben, ob sich die Bestandskraft der Genehmigung gegen eine lediglich veränderte Bewertung einer als solcher unveränderten Tatsachengrundlage durchsetzen kann[32]. Jedenfalls sind bei der Bestimmung dynamischer Betreiberpflichten – hier aus § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG – neue Erkenntnisse über die Auswirkungen der Anlage stets zu berücksichtigen. Dies gilt zum einen für neue wissenschaftliche Erkenntnisse. Schlägt sich der wissenschaftliche Fortschritt in allgemein anerkannten Standards etwa zur Abschätzung zukünftiger Entwicklungen nieder, sind diese als neue Tatsachen zu betrachten, die die Bestandskraft überwinden können[33]. Zum anderen können sich neue Tatsachen daraus ergeben, dass die Auswirkungen des Betriebs einer Anlage nicht mehr nur – wie bei der Erteilung der Genehmigung – prognostisch ermittelt und folglich abgeschätzt, sondern nach Errichtung und Inbetriebnahme auf der Grundlage empirischer Nachweise verlässlicher bestimmt werden können. Auch wenn eine Prognose nach Prognosebasis und -methode fehlerfrei erstellt worden ist, steht bei der Normierung dynamischer Betreiberpflichten die Genehmigung grundsätzlich unter dem Vorbehalt, dass die Auswirkungsprognose aus welchen Gründen auch immer fehlschlägt und bei Ausnutzung der Genehmigung die Tätigkeit des Genehmigungsinhabers an die neue Situation angepasst werden muss[34]. So liegt es hier nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts.
Im Übrigen hat sich auch die Rechtslage gegenüber dem Genehmigungszeitpunkt 2006 in wesentlicher Hinsicht geändert. Nach § 43 Abs. 4 BNatSchG i. d. F. des Gesetzes vom 25.03.2002[35], waren Eingriffe im Sinne der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung von den artenschutzrechtlichen Verboten ausgenommen, soweit sie nicht zu absichtlich herbeigeführten Beeinträchtigungen führten. Diese – nicht unionsrechtskonforme[36] – Vorschrift war nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dahin zu verstehen, dass solche Beeinträchtigungen nicht „absichtlich“ sind, die sich als unausweichliche Konsequenz rechtmäßigen Handelns ergeben[37]. Danach verstießen etwa die mit dem Vollzug eines Planfeststellungsbeschlusses oder der Ausnutzung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung unvermeidbar verbundenen Beeinträchtigungen der besonders geschützten Arten nicht gegen das Tötungs- und Verletzungsverbot[38]. Die in der Genehmigung vom 03.11.2006 getroffene Feststellung der Vereinbarkeit der Windenergieanlagen der Anlagenbetreiberin mit den maßgeblichen öffentlich-rechtlichen Vorschriften bezieht sich auf diese alte Rechtslage, die hinsichtlich der Geltung der artenschutzrechtlichen Zugriffsverbote auch bei an sich rechtmäßigem Handeln von der aktuellen Rechtslage abweicht.
Die von der Erlaubnisbehörde angeordneten Betriebsbeschränkungen stellen sich auf der Grundlage der das Bundesverwaltungsgericht bindenden tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts auch als verhältnismäßig dar. Hiernach entsprächen die nachträglich angeordneten Abschaltzeiten jenen, die der niedersächsische Artenschutzleitfaden (hinsichtlich der Genehmigungserteilung) vorsehe und die sich als sachgerecht erwiesen hätten. Der Anlagenbetrieb sei während 7,5 Monaten im Jahr, insbesondere im windstärkeren Herbst und Winter, uneingeschränkt möglich, und auch während der von der Anordnung betroffenen Monate könnten die Anlagen tagsüber ohne Beschränkung genutzt werden. Lediglich in den – im Frühjahr und Sommer vergleichsweise kurzen – Nächten seien die Anlagen abzuschalten, und auch dann nur von Sonnenuntergang bis zwei Stunden vor Sonnenaufgang bei Windgeschwindigkeiten von unter 6 m/s, in denen der Betrieb einer Windenergieanlage ohnehin nur geringe Erträge bringe. Von der Abschaltanordnung ausgenommen seien weiterhin Zeiten mit Niederschlag und Temperaturen unter 10 Grad Celsius in Nabenhöhe. Durch diese Vorgaben ergebe sich nur eine sehr geringfügige Einschränkung der Nutzbarkeit der vorhandenen Genehmigung. Diese erscheine nicht unverhältnismäßig, weil die Anlagenbetreiberin ihre hierdurch verursachten Einbußen auf ca. 3 Prozent des Umsatzes und etwa 6 000 € pro Anlage und Jahr beziffere, die Anlagen bereits seit mehr als zehn Jahren in Betrieb seien und die Anlagenbetreiberin selbst von einer guten Ertragslage der Anlagen spreche.
Diese Erwägungen des Oberverwaltungsgerichts sind revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Sie sind zwar auf die Abgrenzung von nachträglicher Anordnung und Genehmigungswiderruf bezogen, die es auch nach dem Kriterium der (Un-)Verhältnismäßigkeit vornehmen will. Sie tragen aber auch im Hinblick auf die allgemeine rechtsstaatliche Grenze, die der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz einem behördlichen Einschreiten nach § 3 Abs. 2 BNatSchG zieht.
Konkrete gesetzliche Maßstäbe für die Zumutbarkeit von Anordnungen zur Abschaltung von Windenergieanlagen bestehen nicht. Solche ergeben sich auch nicht aus dem erst nach Ergehen des angefochtenen Urteils durch Gesetz vom 20.07.2022[39] erlassenen § 45b Abs. 6 Satz 2 BNatSchG. Die ihrem unmittelbaren Anwendungsbereich nach (nur) auf Brutvogelarten bezogene Regelung gilt nach der Übergangsvorschrift des § 74 Abs. 4 BNatSchG für – wie hier – bereits bestandskräftig genehmigte Windenergieanlagen nicht.
Die Zulassung einer Ausnahme von den Verboten des § 44 BNatSchG nach § 45 Abs. 7 BNatSchG kommt auf der Grundlage der vom Oberverwaltungsgericht getroffenen Feststellungen zur Verhältnismäßigkeit der nachträglich angeordneten Betriebsbeschränkungen nicht in Betracht. Nach § 45 Abs. 7 Satz 2 BNatSchG darf eine Ausnahme nur zugelassen werden, wenn zumutbare Alternativen nicht gegeben sind. Der Fortbetrieb der bestehenden Anlagen der Anlagenbetreiberin unter Hinnahme von wirtschaftlichen Einbußen, die jedoch die Grenzen der Verhältnismäßigkeit wahren, stellt eine in diesem Sinne zumutbare Alternative zum uneingeschränkten Anlagenbetrieb dar.
Das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts erweist sich hiernach insoweit im Ergebnis als richtig, obgleich dessen Annahme, dass es eine zumutbare Alternative darstelle, die Energieerzeugung bereits bestehender anderer Windenergieanlagen auszuschöpfen, bevor die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung in Betracht komme, mit Bundesrecht nicht in Einklang steht. Bei der Prüfung der Zulassung einer Ausnahme – und damit auch der Frage einer zumutbaren Alternative im Sinne des § 45 Abs. 7 Satz 2 BNatSchG – ist dasjenige konkrete Verhalten in den Blick zu nehmen, mit dem gegen ein Verbot nach § 44 BNatSchG verstoßen wird. Geht es um den Betrieb bestehender (ortsfester) Windenergieanlagen, stellt ein (theoretisch) denkbarer Betrieb dieser Anlagen an alternativen Standorten jedenfalls im Regelfall keine zumutbare Alternative dar. Ein Abbau und Wiederaufbau ist – soweit technisch überhaupt möglich – regelmäßig unzumutbar. Zu Recht wurde Derartiges hier auch nicht erwogen. Die demgegenüber vom Oberverwaltungsgericht in den Blick genommenen Nutzungsmöglichkeiten, die Anlagen an anderen Standorten bieten, sind jedoch schon tatbestandlich keine Alternativen zur Nutzung bestehender Anlagen, die mit nachträglichen Betriebsbeschränkungen belegt werden. Zwischen solchen Anlagen besteht kein Alternativ, sondern vielmehr ein Ergänzungsverhältnis.
Die Zulassung einer Ausnahme von den Verboten des § 44 BNatSchG kommt auch nicht nach dem ebenfalls mit Wirkung zum 29.07.2022 in Kraft getretenen § 45b Abs. 8 BNatSchG in Betracht. Die Vorschrift, die auch für Bestandsanlagen Geltung beansprucht, soll zugunsten des Betriebs von Windenergieanlagen an Land die Erteilung artenschutzrechtlicher Ausnahmen erleichtern[40]. Die zu diesem Zweck in § 45b Abs. 8 Nr. 2 und 3 BNatSchG enthaltenen Maßgaben beziehen sich jedoch auf die Zumutbarkeit von Standortalternativen bei der Neuerrichtung von Windenergieanlagen. Für die hier in Rede stehende Konstellation, in der nachträgliche Betriebsbeschränkungen zulasten einer bestehenden Windenergieanlage eine im Verhältnis zu deren uneingeschränktem Betrieb zumutbare Alternative im Sinne des § 45 Abs. 7 Satz 2 BNatSchG darstellen, trifft § 45b Abs. 8 Nr. 2 und 3 BNatSchG keine modifizierende Regelung.
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 19. Dezember 2023 – 7 C 4.22
- im Anschluss an BVerwG, Urteil vom 23.10.2008 – 7 C 48.07, BVerwGE 132, 224 Rn. 28 f.[↩]
- im Anschluss an BVerwG, Urteile vom 23.10.2008 – 7 C 48.07, BVerwGE 132, 224; und vom 30.04.2009 – 7 C 14.08, NVwZ 2009, 1441 Rn. 22[↩]
- im Anschluss an BVerwG, Urteil vom 29.04.2021 – 4 C 2.19, BVerwGE 172, 271 Rn. 33[↩]
- vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 27.04.2023 – 10 C 3.23 – UPR 2023, 386 Rn. 32 ff.[↩]
- vgl. BVerwG, Urteile vom 23.10.2008 – 7 C 48.07, BVerwGE 132, 224 Rn. 28 f.; vom 30.04.2009 – 7 C 14.08, NVwZ 2009, 1441 Rn. 24 f.; und vom 21.12.2011 – 4 C 12.10, BVerwGE 141, 293 Rn. 18; Beschluss vom 08.11.2016 - 3 B 11.16, NVwZ 2017, 404 Rn. 47; Czajka, in: Feldhaus, Bundesimmissionsschutzrecht, Stand Februar 2023, § 17 BImSchG Rn. 26; Hansmann/Ohms, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand September 2023, § 17 BImSchG Rn. 87; Jarass, BImSchG, 14. Aufl.2022, § 17 Rn. 16[↩]
- vgl. auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 04.07.2018 - 5 S 2117/16 – VBlBW 2018, 507 Rn. 62; Lieber, NuR 2012, 665 <666 f.>[↩]
- vgl. EuGH, Urteil vom 20.10.2005 – C-6/04 [ECLI:EU:C:2005:626], Rn. 113; vgl. dazu BVerwG, Urteile vom 09.07.2008 – 9 A 14.07 - BVerwGE 131, 274 Rn. 91; und vom 03.11.2020 – 9 A 12.19, BVerwGE 170, 33 Rn. 533[↩]
- vgl. EuGH, Urteil vom 08.06.2006 – C-60/05 [ECLI:EU:C:2006:378], Rn. 34; vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 09.07.2008 – 9 A 14.07, BVerwGE 131, 274 Rn. 129[↩]
- BVerwG, Urteile vom 23.10.2008 – 7 C 48.07, BVerwGE 132, 224 Rn. 29; vom 30.04.2009 – 7 C 14.08, NVwZ 2009, 1441 Rn. 25; und vom 21.12.2011 – 4 C 12.10, BVerwGE 141, 293 Rn. 18[↩]
- vgl. BVerwG, Urteile vom 23.10.2008 – 7 C 48.07, BVerwGE 132, 224 Rn. 27; und vom 30.04.2009 – 7 C 14.08, NVwZ 2009, 1441 Rn. 22[↩]
- vgl. BVerwG, Urteile vom 02.12.1977 – 4 C 75.75, BVerwGE 55, 118 <121 ff.> vom 24.10.2002 – 7 C 9.02, BVerwGE 117, 133 <136> und vom 29.04.2021 - 4 C 2.19, BVerwGE 172, 271 Rn. 33[↩]
- vgl. BVerwG, Urteile vom 23.10.2008 – 7 C 48.07, BVerwGE 132, 224 Rn. 27; und vom 30.04.2009 – 7 C 14.08, NVwZ 2009, 1441 Rn. 22, jeweils für Rechtsänderungen; Seibert, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand September 2023, § 13 BImSchG Rn. 123; zur insoweit vergleichbaren seeanlagenrechtlichen Genehmigung vgl. BVerwG, Urteil vom 29.04.2021 – 4 C 2.19 - BVerwGE 172, 271 Rn. 33[↩]
- vgl. BVerwG, Urteile vom 23.10.2008 – 7 C 48.07 - BVerwGE 132, 224 Rn. 27; und vom 30.04.2009 – 7 C 14.08, NVwZ 2009, 1441 Rn. 22; bestätigt durch BVerfG, Kammerbeschluss vom 14.01.2010 - 1 BvR 1627/09, NVwZ 2010, 771 Rn. 35 ff.[↩]
- BVerwG, Urteil vom 23.10.2008 – 7 C 4.08, NVwZ 2009, 647 Rn. 18[↩]
- vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 09.11.2016 – 2 L 112/14 63; VG Augsburg, Urteil vom 29.03.2021 – Au 9 K 18.13 92 40; Jarass, BImSchG, 14. Aufl.2022, § 13 Rn. 25; Lange und Appel, in: Appel/Ohms/Saurer, BImSchG, 2021, § 13 Rn. 49, § 21 Rn. 15; Seibert, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand September 2023, § 13 BImSchG Rn. 117[↩]
- Nds. OVG, Urteil vom 05.07.2022 – 12 BVerwG 121/21[↩]
- ebenso VG Augsburg, Urteil vom 29.03.2021 – Au 9 K 18.13 92 41; Schumacher, NuR 2019, 323 <324> Seibert, UPR 2022, 1 <3 f.>[↩]
- so aber wohl Hansmann/Ohms, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand September 2023, § 17 BImSchG Rn. 35[↩]
- vgl. Appel, in: Appel/Ohms/Saurer, BImSchG, 2021, § 21 Rn. 10[↩]
- offengelassen von BVerwG, Urteil vom 18.05.1982 - 7 C 42.80, BVerwGE 65, 313 <321 f.>[↩]
- vgl. Appel, in: Appel/Ohms/Saurer, BImSchG, 2021, § 21 Rn. 10; Hansmann/Ohms und Hansmann/Röckinghausen, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand September 2023, § 17 BImSchG Rn. 34, § 21 BImSchG Rn. 13, jeweils m. w. N.; vgl. auch Posser, in: BeckOK Umweltrecht, Stand Januar 2023, § 17 BImSchG Rn. 26[↩]
- so auch Hansmann/Röckinghausen, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand September 2023, § 21 BImSchG Rn. 13; ablehnend Seibert, UPR 2022, 1 <4>[↩]
- vgl. Thür. OVG, Beschluss vom 10.02.2015 – 1 EO 356/14 – ThürVBl 2015, 218 Rn. 41 ff.; OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 20.04.2016 – 2 L 64/14 – NuR 2016, 497 Rn. 48; OVG Lüneburg, Urteil vom 13.03.2019 – 12 LB 125/18 – NuR 2019, 335 Rn. 43 f.; Seibert, UPR 2022, 1 <4> a. A. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 15.03.2012 - 11 S 72.10 – NuR 2012, 483 Rn. 8; offengelassen von OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28.09.2020 – 11 N 39.17 11[↩]
- a. A. Reicherzer/Todorov/Arenz, NVwZ 2020, 1165 <1167> zweifelnd Appel, in: Appel/Ohms/Saurer, BImSchG, 2021, § 21 Rn. 15; vgl. ferner Fachagentur Windenergie an Land, Nachträgliche Anpassungen immissionsschutzrechtlicher Genehmigungen aufgrund artenschutzrechtlicher Belange, 2016, S. 16[↩]
- vgl. nur BVerfG, Urteil vom 06.07.1999 – 2 BvF 3/90, BVerfGE 101, 1 <34>[↩]
- vgl. BVerfG, Urteil vom 24.04.2013 - 1 BvR 1215/07, BVerfGE 133, 277 Rn. 140[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 07.03.2017 - 1 BvR 1314/12 u. a., BVerfGE 145, 20 Rn. 125[↩]
- vgl. zusammenfassend BVerwG, Beschluss vom 07.01.2020 – 4 B 20.19 5 m. w. N.[↩]
- BVerwG, Urteile vom 28.04.2016 – 9 A 9.15, BVerwGE 155, 91 Rn. 141 m. w. N.; vom 06.04.2017 - 4 A 16.16, NVwZ-RR 2017, 768 Rn. 77; und vom 05.10.2021 - 7 A 13.20 - BVerwGE 173, 296 Rn. 53[↩]
- vgl. BVerwG, Urteile vom 03.11.2020 – 9 A 12.19, Buchholz 442.09 § 18 AEG Nr. 97 Rn. 551; und vom 31.03.2023 – 4 A 11.21 123[↩]
- vgl. BVerwG, Urteile vom 27.11.2018 – 9 A 8.17, Buchholz 406.254 UmwRG Nr. 29 Rn. 103 f.; und vom 03.11.2020 – 9 A 12.19, Buchholz 442.09 § 18 AEG Nr. 97 Rn. 551[↩]
- ebenfalls offengelassen: BVerwG, Urteil vom 29.04.2021 – 4 C 2.19, BVerwGE 172, 271 Rn. 33 zur seeanlagenrechtlichen Genehmigung[↩]
- BVerwG, Urteil vom 29.04.2021 – 4 C 2.19, BVerwGE 172, 271 Rn. 33 m. w. N.[↩]
- BVerwG, Urteil vom 29.04.2021 – 4 C 2.19, BVerwGE 172, 271 Rn. 33[↩]
- BGBl. I S. 1193[↩]
- vgl. EuGH, Urteil vom 10.01.2006 – C-98/03 [ECLI:EU:C:2006:3][↩]
- vgl. BVerwG, Urteil vom 11.01.2001 – 4 C 6.00, BVerwGE 112, 321 <330> zu § 20f Abs. 3 Satz 1 BNatSchG a. F.[↩]
- vgl. BVerwG, Beschluss vom 12.04.2005 – 9 VR 41.04, NVwZ 2005, 943 <947>[↩]
- BGBl. I S. 1362[↩]
- vgl. BT-Drs.20/2354 S. 26[↩]








