Treibhausgasemissionszertifikate

Um auf kosteneffiziente und wirtschaftlich effiziente Weise auf eine Verringerung von Treibhausgasemissionen hinzuwirken, wurde in der Europäischen Union mit einer Richtlinie aus dem Jahr 2003[1] ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft geschaffen. Nach dieser Richtlinie stellen die Mitgliedstaaten für jeden Fünfjahreszeitraum einen nationalen Zuteilungsplan (NZP) auf, aus dem hervorgeht, wie viele Zertifikate sie insgesamt für diesen Zeitraum zuzuteilen beabsichtigen und wie sie die Zertifikate zuzuteilen gedenken. Dieser Plan ist auf objektive und transparente Kriterien zu stützen, einschließlich der in der Richtlinie genannten Kriterien, wobei die Bemerkungen der Öffentlichkeit angemessen zu berücksichtigen sind. Dieser Plan wird veröffentlicht und der Kommission und den übrigen Mitgliedstaaten übermittelt. Die Kommission kann den NZP oder einen Teil davon ablehnen, wenn er mit den in der Richtlinie aufgeführten Kriterien unvereinbar ist. Nur dann, wenn Änderungsvorschläge von der Kommission akzeptiert werden, entscheidet der Mitgliedstaat über die Gesamtzahl der Zertifikate, die er für diesen Zeitraum zuteilen wird, und leitet das Verfahren für die Zuteilung dieser Zertifikate an die Betreiber der einzelnen Anlagen ein.

Treibhausgasemissionszertifikate

Mit der Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen EU und ihren Mitgliedstaaten hatte sich jetzt das Gericht Erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften zu befassen. Und das EuG erklärte die Entscheidungen der Kommission über die Nationalen Pläne Polens und Estlands zur Zuteilung von Zertifikaten für Treibhausgasemissionen (NZP) für nichtig. Indem die Kommission im Rahmen der Kontrolle des NZP eine Obergrenze für die zuzuteilenden Emissionszertifikate vorgegeben hat, hat sie, so das Urteil des EuG, die ihr übertragenen Zuständigkeiten überschritten

2006 übermittelten Polen und Estland der Kommission ihre NZP für den Zeitraum 2008 bis 2012. Mit zwei Entscheidungen aus dem Jahr 2007 stellte die Kommission die Unvereinbarkeit dieser NZP mit den Kriterien der Richtlinie fest und entschied, dass die jährlichen Gesamtmengen der zuzuteilenden Emissionszertifikate um 26,7%[2] bzw. 47,8 %[3] gegenüber der Anzahl von Emissionszertifikaten, deren Ausgabe diesen beiden Mitgliedstaaten beabsichtigt hatten, herabzusetzen seien.

Daraufhin erhoben zum einen Polen, unterstützt durch Ungarn, Litauen und die Slowakei und zum anderen Estland, unterstützt durch Litauen und die Slowakei, Klage auf Nichtigerklärung der sie betreffenden Entscheidung der Kommission, ihrerseits unterstützt durch das Vereinigte Königreich.

Ermessensmissbrauch

Das Gericht Erster Instanz stellt zunächst fest, dass der Mitgliedstaat zum einen für die Aufstellung des NZP, den er der Kommission übermittelt und durch den er die Ziele, die in der Richtlinie in Bezug auf Treibhausgasemissionen definiert sind, zu erreichen beabsichtigt, zum anderen für den Erlass der endgültigen Entscheidung über die Festlegung der Gesamtmenge der Zertifikate, die er für jeden Fünfjahreszeitraum zuteilen wird, und für die Verteilung dieser Gesamtmenge unter den Wirtschaftsteilnehmern allein zuständig ist. In diesem Zusammenhang weist das Gericht darauf hin, dass die Mitgliedstaaten bei der Entscheidung, welche Methode sie bei der Aufstellung ihres NZP anwenden, über einen Spielraum verfügen.

Der Kommission ihrerseits steht eine Befugnis zur Kontrolle des NZP zu, der enge Grenzen gesetzt sind. So ist sie befugt, die Vereinbarkeit des von dem Mitgliedstaat übermittelten NZP mit den Kriterien der Richtlinie zu prüfen und ihn wegen Unvereinbarkeit mit diesen Kriterien und Vorschriften durch eine mit einer Begründung versehene Entscheidung abzulehnen.

Nach Auffassung des Gerichts hat die Kommission dadurch, dass sie den NZP auf der Grundlage einer Argumentation abgelehnt hat, mit der Zweifel an der Zuverlässigkeit der von Estland und Polen verwendeten Daten geäußert werden, einen Rechtsfehler begangen.

Zudem darf die Kommission, wenn sie beschließt, den übermittelten NZP abzulehnen, die in dem fraglichen NZP verzeichneten Daten nicht außer Acht lassen und ohne Weiteres durch die mit ihrer eigenen Bewertungsmethode gewonnenen Daten ersetzen. Indem die Kommission sich darauf berufen hat, dass sie für alle Mitgliedstaaten ein und dieselbe Methode zur Beurteilung der NZP wählen und anwenden müsse, um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen, hat sie den ihr mit der Richtlinie eingeräumten Spielraum überschritten.

Würde man es der Kommission zugestehen, für alle Mitgliedstaaten ein und dieselbe Methode zur Beurteilung der NZP zu wählen, so würde man ihr nicht nur eine regelrechte Befugnis zur Vereinheitlichung im Rahmen der Durchführung des Systems für den Handel mit Zertifikaten, sondern auch eine zentrale Rolle bei der Aufstellung der NZP zuerkennen. Der Gesetzgeber hat der Kommission im Rahmen ihrer Befugnis zur Kontrolle der NZP aber weder eine solche Befugnis zur Vereinheitlichung noch eine solche zentrale Rolle zuerkannt.

Es ist Sache jedes einzelnen Mitgliedstaats und nicht der Kommission, auf der Grundlage seines im Einklang mit der Richtlinie aufgestellten NZP über die Gesamtzahl der Zertifikate zu entscheiden, die er für den fraglichen Zeitraum zuteilen wird, das Verfahren der Zuteilung dieser Zertifikate an die Betreiber der einzelnen Anlagen einzuleiten und über die Zuteilung der Zertifikate zu entscheiden. Folglich hat sich die Kommission, indem sie in den angefochtenen Entscheidungen Obergrenzen für die Zertifikate festgesetzt hat, bei deren Überschreitung die NZP als mit den Beurteilungskriterien unvereinbar angesehen werden, in der Praxis an die Stelle der betroffenen Mitgliedstaaten gesetzt. Solche Entscheidungen führen demnach dazu, dass in die ausschließliche Zuständigkeit eingegriffen wird, die den Mitgliedstaaten in der Richtlinie für die Entscheidung über die Gesamtmenge der Zertifikate, die sie für jeden Fünfjahreszeitraum ab dem 1. Januar 2008 zuteilen werden, übertragen wird.

Verstoß gegen die Begründungspflicht

Was Polen betrifft, weist das Gericht Erster Instanz darauf hin, dass es der Kommission im Rahmen der Ausübung ihrer Kontrollbefugnis oblag, zu erläutern, inwiefern die von einem Mitgliedstaat für die Aufstellung des NZP verwendeten Instrumente ihrer Ansicht nach mit den Kriterien der Richtlinie unvereinbar waren. Der Gemeinschaftsgesetzgeber wollte Nachdruck auf die Begründungpflicht legen, der die Kommission beim Erlass einer Entscheidung über die Ablehnung eines NZP unterliegt. Im vorliegenden Fall hat die Kommission, der insoweit die Beweislast obliegt, in der angefochtenen Entscheidung keine Angaben gemacht, anhand deren sich hinreichend erkennen ließe, inwiefern mit der Methode der wirtschaftlichen Analyse und den Daten, die Polen herangezogen hat, gegen das Gemeinschaftsrecht verstoßen würde.

Verstoß gegen den Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung

Mit seiner Klage warf Estland der Kommission vor, in der angefochtenen Entscheidung festgestellt zu haben, dass sein NZP mit der Richtlinie unvereinbar sei, da Estland es unterlassen habe, einen Teil der Gesamtmenge an Zertifikaten als „Reserve“ bereitzuhalten, die die Kommission gemäß ihrer Entscheidung aus dem Jahr 20064 festgelegt habe. Hierzu entscheidet das Gericht, dass sich die in der Akte dieser Rechtssache enthaltenen Unterlagen nicht mit der Schlussfolgerung der Kommission in der angefochtenen Entscheidung vereinbaren zu lassen scheinen, wonach die in den fraglichen Reserven enthaltenen Zertifikate nicht in die Gesamtmenge der zuzuteilenden Zertifikate einbezogen worden seien. Das Gericht stellt fest, dass die Kommission den von Estland vorgelegten NZP nicht angemessen geprüft und damit gegen den Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung verstoßen hat.

Daher erklärt das Gericht die Entscheidungen der Kommission über die NZP Polens und Estlands für nichtig.

Gericht Erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften, Urteile vom 23. September 2009 – T-183/07 und T-263/07

  1. Richtlinie 2003/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 2003 über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft und zur Änderung der Richtlinie 96/61/EG des Rates (ABl. L 275, S. 32) in der durch die Richtlinie 2004/101/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Oktober 2004 (ABl. L 338, S. 18) geänderten Fassung.[]
  2. Von 284,648332 Millionen Tonnen Kohlendioxidäquivalent auf 208,515395 Millionen Tonnen pro Jahr.[]
  3. Von 24,375045 Millionen Tonnen Kohlendioxidäquivalent auf 12,717058 Millionen Tonnen pro Jahr.[]