Tiefflüge und Vogelschutz

Die Bun­des­wehr ist im Rah­men ihrer Be­fug­nis, von den luft­ver­kehrs­recht­lich vor­ge­ge­be­nen Min­dest­flug­hö­hen ab­zu­wei­chen (§ 30 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Luft­VG), von den ha­bi­tat­schutz­recht­li­chen Ver­fah­rens­schrit­ten gemäß § 34 Abs. 1 und Abs. 3 bis 5 BNatSchG nicht frei­ge­stellt.

Tiefflüge und Vogelschutz

§ 30 Abs. 1 Satz 1 LuftVG ermächtigt die Bundeswehr, von den Vorschriften des Ersten Abschnitts des Luftverkehrsgesetzes – ausgenommen die §§ 12, 13 und 15 bis 19 LuftVG – und den zu seiner Durchführung erlassenen Vorschriften abzuweichen, soweit dies zur Erfüllung ihrer besonderen Aufgaben unter Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung erforderlich ist. Von den Vorschriften über das Verhalten im Luftraum darf gemäß § 30 Abs. 1 Satz 3 LuftVG nur abgewichen werden, soweit dies zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben „zwingend notwendig“ ist. § 30 Abs. 2 Satz 1 LuftVG bestimmt, dass die Verwaltungszuständigkeiten aufgrund des Luftverkehrsgesetzes für den Dienstbereich der Bundeswehr durch die Dienststellen der Bundeswehr nach Bestimmungen des Bundesministeriums der Verteidigung wahrgenommen werden. Mit dieser Vorschrift räumt der luftverkehrsrechtliche Gesetzgeber der Bundeswehr im Hinblick auf die nach Art. 87a Abs. 1 GG mit Verfassungsrang versehenen Belange der äußeren Sicherheit und der Landesverteidigung eine Sonderstellung ein[1].

§ 6 Abs. 1 LuftVO, der Bestimmungen über die im Luftverkehr einzuhaltenden Mindestflughöhe („Sicherheitsmindesthöhe“) enthält, ist eine Vorschrift über das Verhalten im Luftraum[2]. Die Dienststellen der Bundeswehr sind deshalb auf der Grundlage des § 30 Abs. 1 Satz 1 und 3 LuftVG unter den dort geregelten Voraussetzungen befugt, von der vorgegebenen Sicherheitsmindesthöhe abzuweichen und Tiefflüge auch unterhalb dieser Höhe durchzuführen. Ob die Voraussetzungen hierfür vorliegen, entscheidet die Bundeswehr gemäß § 30 Abs. 2 Satz 1 LuftVG in eigener Verwaltungszuständigkeit. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts[3] ist geklärt, dass der Bundeswehr hierbei ein verteidigungspolitischer Beurteilungsspielraum zukommt. Die Verwaltungsgerichte können die luftverkehrsrechtliche Abweichungsentscheidung nur daraufhin überprüfen, ob das Bundesministerium der Verteidigung von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist, den durch § 30 Abs. 1 Satz 3 LuftVG bestimmten Rahmen erkannt, sich von sachgerechten Erwägungen hat leiten lassen und die betroffenen Interessen in die gebotene Abwägung eingestellt und nicht unverhältnismäßig zurückgesetzt hat.

Die Bundeswehr bei der Entscheidung über die Durchführung von Tiefflügen nach § 30 Abs. 1 LuftVG hat zwar das Vorliegen der materiellrechtlichen Anforderungen des Naturschutzrechts selbstständig und in eigener Zuständigkeit zu prüfen. Die Bundeswehr ist aber nicht von den Verfahrensanforderungen des § 34 BNatSchG freigestellt. Die gegenteilige Auffassung verkennt den Regelungsgehalt des § 30 Abs. 1 LuftVG und steht auch mit § 34 BNatSchG nicht im Einklang.

Der Wortlaut des § 30 Abs. 1 LuftVG enthält keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Bundeswehr über die Möglichkeit zur Abweichung von luftverkehrsrechtlichen Vorschriften hinaus auch von naturschutzrechtlichen Verfahrensanforderungen freigestellt sein soll. Auch die Gesetzesmaterialien[4] lassen einen dahingehenden gesetzgeberischen Willen nicht erkennen. Andererseits verlangt § 30 Abs. 1 Satz 1 LuftVG bei der luftverkehrsrechtlichen Abweichungsentscheidung ausdrücklich auch die „Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung“. Den Begriff der öffentlichen Sicherheit und Ordnung hat das Oberverwaltungsgericht in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 48 WaStrG[5] ausgelegt, wonach dieser Begriff nicht eingeengt auf das technische Sicherheitsrecht, sondern in dem überkommenen Sinne zu verstehen ist, den er im Allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht erhalten hat. Neben dem Schutz zentraler Rechtsgüter umfasst die öffentliche Sicherheit auch die Unversehrtheit der Rechtsordnung. Demzufolge verlangt der Gesetzgeber mit der gesetzlich angeordneten Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, dass neben den Vorschriften des Fachrechts auch sämtliche Vorschriften des formellen und materiellen Rechts außerhalb des betreffenden Fachrechts einzuhalten sind, die die Anforderungen der öffentlichen Sicherheit für ihren Sachbereich konkretisieren. Dementsprechend hat das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt[6] unter Bezugnahme auf seine eigene Rechtsprechung zu § 48 WaStrG[7] im Grundsatz anerkannt, dass zur öffentlichen Sicherheit und Ordnung, zu deren Berücksichtigung § 30 Abs. 1 LuftVG die Bundeswehr verpflichtet, auch die „Naturschutzgesetze“ zählen. Dagegen gibt es aus bundesrechtlicher Sicht nichts zu erinnern.

Das Oberverwaltungsgericht hat sich allerdings auf den Standpunkt gestellt, dass sich diese Verpflichtung nur auf die materiellrechtlichen Voraussetzungen des Naturschutzrechts beziehe, deren Vorliegen die Bundeswehr bei der luftverkehrsrechtlichen Ausnahmeentscheidung nach § 30 Abs. 1 LuftVG in eigener Zuständigkeit zu prüfen habe, während die Regelungen des Naturschutzrechts, die ein entsprechendes Verwaltungsverfahren vorsähen, neben § 30 Abs. 1 LuftVG nicht anwendbar seien. Diese Auffassung geht fehl. Aus der in Bezug genommenen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts[8] lässt sich dafür nichts herleiten. Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht in diesem Urteil angenommen, § 48 WaStrG, nach dessen Satz 1 allen Anforderungen der (öffentlichen) Sicherheit und Ordnung zu genügen ist, bedeute „in seiner Gesamtheit“, dass die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes materiell umfassend an fachfremde Vorschriften gebunden, von formellen Erfordernissen dieser Fachgesetze aber freigestellt sei. Hintergrund dieser Annahme ist jedoch die in Satz 2 des § 48 WaStrG getroffene Regelung, dass es (sonstiger, in fachfremden Gesetzen wie etwa dem Bundesnaturschutzgesetz angeordneter) behördlicher Genehmigungen, Erlaubnisse und Abnahmen nicht bedarf. § 48 WaStrG ordnet mithin eine Freistellung von den formellen Erfordernissen anderer Gesetze ausdrücklich an. Eine entsprechende Freistellung ist in § 30 LuftVG aber gerade nicht vorgesehen. Es bleibt deshalb dabei, dass auch die in § 34 BNatSchG geregelten Verfahrensschritte über die in § 30 Abs. 1 LuftVG angeordnete Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung zum Prüfprogramm der luftverkehrsrechtlichen Abweichungsentscheidung gehören. Verträglichkeitsprüfung und eine gegebenenfalls erforderliche habitatschutzrechtliche Abweichungsentscheidung sind von der Bundeswehr in eigener Zuständigkeit vorzunehmende Verfahrensschritte innerhalb des luftverkehrsrechtlichen Trägerverfahrens.

Entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts lässt sich eine in § 30 Abs. 1 LuftVG nicht angelegte Freistellung der Bundeswehr von den habitatschutzrechtlichen Prüfpflichten auch nicht mit dem Verteidigungsauftrag der Bundeswehr oder gar mit Effektivitätsgesichtspunkten[9] begründen. Der Verteidigungsauftrag der Bundeswehr wird durch eine habitatschutzrechtliche Verträglichkeitsprüfung und eine gegebenenfalls erforderliche Abweichungsentscheidung nicht in Frage gestellt. Ob ein Projekt, das zu einer erheblichen Beeinträchtigung eines FFH-Gebiets führen kann und deshalb gemäß § 34 Abs. 2 BNatSchG unzulässig ist, dennoch zugelassen werden kann, hängt gemäß § 34 Abs. 3 BNatSchG davon ab, ob es aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses notwendig ist und zumutbare Alternativen nicht gegeben sind. Zwingende Gründe des öffentlichen Interesses sind auch die Belange der Landesverteidigung. Sie können gemäß § 34 Abs. 4 BNatSchG selbst dann eine Abweichung rechtfertigen, wenn prioritäre natürliche Lebensraumtypen oder prioritäre Arten betroffen werden. Über das Vorliegen zwingender Gründe des öffentlichen Interesses entscheiden die Dienststellen der Bundeswehr in eigener Verwaltungszuständigkeit. Gleiches gilt für das Vorliegen zumutbarer Alternativen. Überdies kommt den Dienststellen der Bundeswehr hinsichtlich der Frage, welche Maßnahmen zur Konkretisierung des Verfassungsauftrags notwendig sind, aus den im Urteil vom 14. Dezember 1994[10] genannten Gründen auch insoweit ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer verteidigungspolitischer Beurteilungsspielraum zu. Die Annahme des Oberverwaltungsgerichts[11], die in Art. 87a Abs. 1 GG getroffene Grundentscheidung der Verfassung für die militärische Landesverteidigung würde durch das Erfordernis einer habitatschutzrechtlichen Abweichungsentscheidung unterlaufen, ist deshalb unberechtigt.

Der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts, dass die Bundeswehr im Rahmen einer luftverkehrsrechtlichen Abweichungsentscheidung nach § 30 Abs. 1 LuftVG zwar das Vorliegen der materiellrechtlichen Voraussetzungen des § 34 BNatSchG in eigener Verantwortung zu prüfen habe, aber von der Einhaltung der habitatschutzrechtlichen Verfahrensanforderungen freigestellt sei, ist auch mit § 34 BNatSchG unvereinbar. Formelles und materielles Recht sind im Rahmen des § 34 BNatSchG untrennbar miteinander verwoben. Die vom Oberverwaltungsgericht für erforderlich gehaltene Prüfung, ob die materiellrechtlichen Voraussetzungen des § 34 BNatSchG vorliegen, lässt sich nur auf der Grundlage der vorgegebenen Verfahrensschritte bewerkstelligen. Wie ausgeführt, muss der Träger eines Projekts in der Verträglichkeitsprüfung unter Berücksichtigung der besten einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse nachweisen, dass eine vorhabenbedingte Beeinträchtigung der Erhaltungsziele der betroffenen FFH-Gebiete ausgeschlossen ist. Die gewonnenen fachwissenschaftlichen Erkenntnisse sind zu dokumentieren, weil nur auf diesem Wege der Nachweis geführt werden kann, dass die erreichbaren wissenschaftlichen Erkenntnisquellen in vollem Umfang ausgeschöpft wurden und die Bewertungen den besten wissenschaftlichen Stand erreicht haben[12]. Wie ebenfalls ausgeführt, setzt auch die Zulassung einer habitatschutzrechtlichen Abweichung eine Verträglichkeitsprüfung voraus, weil diese die Informationen vermittelt, derer es bedarf, um das Vorliegen der materiellrechtlichen Abweichungsvoraussetzungen gemäß § 34 Abs. 3 bis 5 BNatSchG festzustellen. Eine förmlich durchgeführte Verträglichkeitsprüfung einschließlich der Vorprüfung ist deshalb auch im Rahmen einer luftverkehrsrechtlichen Abweichungsentscheidung gemäß § 30 Abs. 1 LuftVG unerlässlich, weil sich nur auf dieser Grundlage die habitatschutzrechtliche Zulässigkeit eines Projekts abschließend beurteilen lässt, wie auch der vorliegende Fall eindrücklich dokumentiert.

Die weiteren Gründe, die das Oberverwaltungsgericht gegen ein Mitwirkungsrecht des Naturschutzverbands in Stellung gebracht hat, stehen mit Bundesrecht ebenfalls nicht im Einklang.

Das Oberverwaltungsgericht hat nicht verkannt, dass eine Abweichungsentscheidung nach § 34 Abs. 3 bis 5 BNatSchG unter den Begriff der „Befreiung“ im Sinne des § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG fällt[13]. Auch ist es der Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass das Mitwirkungsrecht gemäß § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG entfalle, wenn die habitatschutzrechtliche „Befreiung“ – wie hier – durch eine andere behördliche Gestattung ersetzt wird, zu Recht entgegengetreten; dass eine Mitwirkung auch unter dieser Voraussetzung geboten ist, hat der Gesetzgeber in § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG nunmehr ausdrücklich klargestellt[14]. Dennoch hat das Oberverwaltungsgericht ein Mitwirkungsrecht des Naturschutzverbands verneint, weil die Bundeswehr die materiellrechtlichen Voraussetzungen des Naturschutzgesetzes in eigener Zuständigkeit zu prüfen habe und es deshalb keine andere Entscheidung gebe, an der der Naturschutzverband zu beteiligen wäre. Diese Auffassung geht bereits deshalb fehl, weil sich das Oberverwaltungsgericht – wie ausgeführt – von der unzutreffenden Vorstellung hat leiten lassen, dass die Bundeswehr nur an die materiellrechtlichen Vorgaben, nicht aber an die Verfahrensanforderungen des § 34 BNatSchG gebunden sei. Verträglichkeitsprüfung und eine gegebenenfalls erforderliche Abweichungsentscheidung sind gemäß § 34 BNatSchG vor der Zulassung eines habitatschutzrechtlich relevanten Projekts zwingend durchzuführende Verfahrensschritte; vor einer gegebenenfalls erforderlichen habitatschutzrechtlichen Abweichungsentscheidung ist den anerkannten Naturschutzvereinigungen gemäß § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG Gelegenheit zur Stellungnahme und zur Einsicht in die einschlägigen Sachverständigengutachten zu geben.

Der Umstand, dass das luftverkehrsrechtliche Trägerverfahren ein lediglich behördenintern wirkendes Entscheidungsverfahren ist, das ohne Inanspruchnahme einer besonderen Form erfolgen kann[15], steht einer Mitwirkung des Naturschutzverbands ebenfalls nicht entgegen. Die Mitwirkungsrechte des § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG hängen nicht davon ab, dass das Trägerverfahren, innerhalb dessen die naturschutzrechtlichen Verfahrensschritte abzuhandeln sind, ein Verwaltungsverfahren im Sinne des § 9 VwVfG, mithin eine nach außen wirkende Tätigkeit der Behörde ist. § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG knüpft tatbestandlich an eine nach § 34 Abs. 3 bis 5 BNatSchG zu treffende „Befreiung“ an, die auch durch eine „andere Entscheidung“ eingeschlossen oder ersetzt werden kann. Eine luftverkehrsrechtliche Abweichungsentscheidung gemäß § 30 Abs. 1 LuftVG ist eine „andere Entscheidung“ in diesem Sinne. Mitwirkungsrechte gemäß § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG sind damit ebenfalls bereits aufgrund naturschutzrechtlicher Anordnung in das bundeswehrinterne Trägerverfahren inkorporiert; einer zusätzlichen Bestätigung der naturschutzrechtlichen Mitwirkungsrechte im Luftverkehrsgesetz bedurfte es nicht.

Unberechtigt ist schließlich die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, durch eine Mitwirkung von Naturschutzverbänden werde der Verteidigungsauftrag der Bundeswehr gefährdet. Die Mitwirkung anerkannter Naturschutzvereinigungen nach § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG hat den Zweck einer die Behörden unterstützenden „Sachverstandspartizipation“. Sie soll Vollzugsdefiziten im Bereich des Naturschutzes und der Landschaftspflege entgegenwirken[16]. Entsprechend diesem generellen Zweck können anerkannte Naturschutzverbände grundsätzlich auch im Rahmen des § 30 Abs. 1 LuftVG die für eine sachgerechte habitatschutzrechtliche Abweichungsentscheidung erforderlichen Informationen ergänzen. Das Mitwirkungsrecht ist allerdings verfahrensrechtlich auf die Vorbereitung der Entscheidung und inhaltlich auf die Einbringung naturschutzfachlichen Sachverstandes beschränkt[17]. Die selbstständige Entscheidungskompetenz der Bundeswehr wird dadurch nicht unterlaufen, der der Bundeswehr zukommende Beurteilungsspielraum bei der Konkretisierung der zur Erfüllung ihres Verteidigungsauftrags notwendigen Maßnahmen bleibt gewahrt.

Für den Fall, dass eine sofortige Entscheidung wegen Gefahr im Verzug, wegen einer einzuhaltenden Frist oder sonst im öffentlichen Interesse erforderlich erscheint, sowie für die Fälle, in denen beispielsweise ein Geheimhaltungsinteresse als zwingendes öffentliches Interesse einer Verbandsbeteiligung entgegenstehen, kann die Bundeswehr gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 BNatSchG i.V.m. § 28 Abs. 2 Nr. 1 und 2, Abs. 3 und § 29 Abs. 2 VwVfG von einer Verbandsbeteiligung absehen. Auch hierüber entscheidet sie auf der Grundlage des ihr zukommenden verteidigungspolitischen Beurteilungsspielraums in eigener Zuständigkeit mit nur eingeschränkter gerichtlicher Kontrolle. Eine Gefährdung des Verteidigungsauftrags ist auch insoweit nicht zu besorgen.

Die Auffassung, dass die Bundeswehr im Rahmen einer luftverkehrsrechtlichen Abweichungsentscheidung gemäß § 30 Abs. 1 LuftVG auch dann von den Verfahrensanforderungen des § 34 BNatSchG freigestellt und ein Mitwirkungsrecht des Naturschutzverbands ausgeschlossen sei, wenn die Voraussetzungen des § 34 BNatSchG vorliegen, ist somit bereits aus Gründen des nationalen Rechts zu beanstanden. Die seitens des Naturschutzverbands aufgeworfene Frage, ob eine Freistellung mit den unionsrechtlichen Vorgaben des Art. 6 Abs. 3 und 4 der FFH-RL bzw. Art. 4 Abs. 4 der V-RL vereinbar wäre, bedarf deshalb keiner Entscheidung.

Ein Mitwirkungsrecht des Naturschutzverbands scheitert vorliegend nicht an dem in § 34 BNatSchG verwendeten Projektbegriff. Das Oberverwaltungsgericht hat zu Recht nicht in Zweifel gezogen, dass die über dem Gebiet der Colbitz-Letzlinger Heide geplanten Tiefflugübungen der Bundeswehr als Projekt im Sinne des § 34 BNatSchG zu qualifizieren sind.

Im Bundesnaturschutzgesetz ist der Projektbegriff gesetzlich nicht (mehr) definiert. Eine Legaldefinition fehlt auch in der FFH- und der Vogelschutzrichtlinie. Der Europäische Gerichtshof[18] orientiert sich deshalb am Projektbegriff der Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27.06.1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten[19]. Nach deren Art. 1 Abs. 2 sind Projekte „die Errichtung von baulichen und sonstigen Anlagen“ sowie „sonstige Eingriffe in Natur und Landschaft einschließlich derjenigen zum Abbau von Bodenschätzen“. Die Gesetzesbegründung zu § 34 BNatSchG[20] nimmt hierauf ausdrücklich Bezug. Dem UVP-rechtlichen Projektbegriff liegt ein wirkungsbezogenes Verständnis zugrunde[21], das nicht zwingend bauliche Veränderungen voraussetzt, sondern auch bei der Ausübung sonstiger das Schutzgebiet gefährdender Tätigkeiten erfüllt sein kann[22].

Offen bleiben kann im vorliegenden Zusammenhang, ob dieser wirkungsbezogene Projektbegriff insbesondere mit Blick auf die in § 33 BNatSchG geregelten allgemeinen Veränderungs- und Störungsverbote[23] einer eingrenzenden Präzisierung bedarf, etwa dahingehend, dass Projekte im Sinne des § 34 BNatSchG ein planmäßiges Einwirken auf Schutzgebiete voraussetzen. Einzelne Tiefflüge, die ad hoc angeordnet oder durchgeführt werden, wären unter dieser einschränkenden Voraussetzung zwar von der Regelung des § 34 BNatSchG nicht erfasst und unterlägen deshalb auch nicht der Verbandsmitwirkung nach § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG. Für die streitgegenständlichen Tiefflüge über dem Truppenübungsplatz Colbitz-Letzlinger Heide spielen entsprechende Überlegungen indes ersichtlich keine Rolle. Das gilt auch dann, wenn – wie die Vertreter der Bundeswehr im Termin zur mündlichen Verhandlung vorgetragen haben – über die dort durchzuführenden Tiefflüge zumindest teilweise ebenfalls tagesaktuell entschieden wird. Denn dem Naturschutzverband geht es – wie die Bundeswehr selbst einräumt – nicht um eine Mitwirkung bei der Entscheidung über die einzelnen Flüge, sondern um die dahinter stehende Grundentscheidung der Bundeswehr, das Gebiet der Colbitz-Letzlinger Heide wegen des dort angesiedelten Truppenübungsplatzes in bestimmter Regelmäßigkeit und Intensität für Tiefflugübungen zu nutzen. Diese Grundentscheidung ist von langer Hand geplant und einer habitatschutzrechtlichen Überprüfung unter Mitwirkung des Naturschutzverbands ohne Weiteres zugänglich.

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 10. April 2013 – 4 C 3.12

  1. vgl. BVerwG, Urteil vom 14.12.1994 – 11 C 18.93, BVerwGE 97, 203, LS 1 und S.209[]
  2. BVerwG, Urteil vom 14.12.1994 a.a.O. S.208[]
  3. BVerwG, Urteil vom 14.12.1994 a.a.O. LS 1[]
  4. wiedergegeben z.B. bei Giemulla, in: Giemulla/Schmid, LuftVG, Stand November 2012, § 30 Rn. 4[]
  5. BVerwG, Urteil vom 25.09.2008 – 7 A 4.07, Buchholz 445.4 § 48 WaStrG Nr. 1 Rn. 37[]
  6. OVG LSA, Urteil vom 12.05.2011 – OVG 2 L 30/1[]
  7. OVG LSA, Urteil vom 28.10.2008 – 2 M 195/08, DVBl 2009, 133 = DÖV 2009, 213[]
  8. BVerwG, Urteil vom 25.09.2008 a.a.O.[]
  9. so aber Kämper, in: Grabherr/Reidt/Wysk, LuftVG, Stand Juli 2012, § 30 Rn. 38, unter Bezugnahme auf das Berufungsurteil[]
  10. BVerwG, Urteil vom 14.12.1994 – 11 C 18.93, BVerwGE 97, 203, S.209[]
  11. anders noch im gerichtlichen Eilverfahren, OVG LSA, Beschluss vom 21.04.2008 – 2 M 94/08, NuR 2008, 517[]
  12. BVerwG, Urteil vom 17.01.2007 – 9 A 20.05, BVerwGE 128, 1 Rn. 70[]
  13. vgl. z.B. Leppin, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG 2011, § 63 Rn. 26; Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht Band II, Stand Juni 2012, § 63 Rn. 27 m.w.N.[]
  14. Leppin, a.a.O.; Gellermann, a.a.O. § 63 Rn. 28[]
  15. BVerwG, Urteil vom 14.12.1994 a.a.O. S. 210 f.[]
  16. BVerwG, Urteil vom 12.11.1997 – 11 A 49.96, BVerwGE 105, 348, 350[]
  17. vgl. BVerwG, Urteil vom 12.11.1997 a.a.O.[]
  18. BVerwG, Urteile vom 07.09.2007 – Rs. C-127/02 – Slg. 2004, I-7405 Rn. 24 und vom 14.01.2010 – Rs. C-226/08 – Slg. 2010, I-131 Rn. 38 m.w.N.[]
  19. ABl L 175 vom 05.07.1985, S. 40 – UVP-RL[]
  20. BT-Drs. 16/12274, S. 65[]
  21. Frenz, NVwZ 2011, S. 275, 276 m.w.N. in Fn. 4[]
  22. OVG Münster, Beschluss vom 21.02.2011 – 8 A 1837/09, NuR 2011, 591, juris Rn. 21 ff.[]
  23. zu den im Schrifttum angemeldeten Zweifeln an der Unionsrechtskonformität der in § 33 Abs. 1 Satz 2 BNatSchG vorgesehenen Abweichungsmöglichkeit, die nach Art. 6 der FFH-RL allein auf Pläne und Projekte bezogen ist, siehe etwa Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht Band II, Stand Juni 2012, § 33 Rn. 10[]