Sperrzeitverlängerung

Lärmimmissionen können als schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne des Bundesimmissionsschutzgesetzes ein Gefahrenpotenzial darstellen, das eine Verlängerung der in der Gaststättenverordnung des Landes Baden-Württemberg bestimmten allgemeinen Sperrzeit zulässt. Für die Beurteilung der Zumutbarkeit des Lärms genügen subjektive Einschätzungen von Anwohnern nicht, sondern es sind belastbare Feststellungen zur nächtlichen Lärmsituation im gesamten Geltungsbereich der Verordnung zu treffen, und zwar in der Regel durch schalltechnische Lärmmessungen oder -prognosen.

Sperrzeitverlängerung

Mit dieser Begründung hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in den hier vorliegenden Fällen mehreren Normenkontrollanträgen von Gaststättenbetreibern und Automatenaufstellern aus Kehl stattgegeben. Gegenstand des Verfahrens war eine gaststättenrechtliche Sperrzeitverordnung, die den Beginn der allgemeinen Sperrzeit (3 Uhr bzw. in der Nacht von Samstag auf Sonntag 5 Uhr) für Gaststätten mit Geldspielgeräten in bestimmten Gebieten mit schutzbedürftiger Wohnbevölkerung von Sonntag bis Donnerstag auf 0 Uhr und in den Nächten von Freitag auf Samstag sowie von Samstag auf Sonntag auf 2 Uhr vorverlegte. Die Stadt sah sich dazu durch eine auffällige Häufung von Beschwerden über nächtliche Belästigungen und Ruhestörungen in der Nachbarschaft innerstädtischer Gaststätten mit Geldspielgeräten veranlasst. Mehrere Gaststättenbetreiber und Automatenaufsteller aus Kehl hatten die Verordnung angegriffen. Sie sahen sich in ihrer Berufsfreiheit verletzt und argumentierten, eine Vorverlegung der Sperrzeit aus Gründen des Lärmschutzes sei nicht gerechtfertigt.

Dieser Auffassung ist der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg gefolgt: Eine Verlängerung der in der Gaststättenverordnung des Landes Baden-Württemberg bestimmten allgemeinen Sperrzeit sei nur bei Vorliegen eines öffentlichen Bedürfnisses oder besonderer örtlicher Verhältnisse zulässig. Dies erfordere ein erhöhtes lokales Gefahrenpotenzial. Lärmimmissionen könnten als schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne des Bundesimmissionsschutzgesetzes ein solches Gefahrenpotenzial darstellen. Ihre Zumutbarkeit beurteile sich nach der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA-Lärm). Insoweit genügten subjektive Einschätzungen von Anwohnern nicht. Für die Beurteilung der Zumutbarkeit des Lärms seien belastbare Feststellungen zur nächtlichen Lärmsituation im gesamten Geltungsbereich der Verordnung zu treffen, und zwar in der Regel durch schalltechnische Lärmmessungen oder -prognosen. Daran fehle es hier. Die Stadt habe den im Geltungsbereich der Verordnung von Gaststätten ausgehenden Lärm nicht nach den Vorgaben der TA Lärm gemessen oder prognostiziert. Die von ihr lediglich berücksichtigten Anwohnerbeschwerden bezögen sich zudem nur auf ein Fünftel der von der Verordnung betroffenen Gaststätten mit Geldspielgeräten. Außerdem erfasse die Sperrzeitverordnung auch Gaststätten mit nur einem oder zwei Geldspielgeräten, für welche die Stadt nicht einmal ansatzweise ein erhöhtes Gefährdungspotenzial durch Lärm ermittelt habe. Gleiches gelte für die zahlenmäßig überwiegenden „Automatenbistros“, bei denen es bislang keine oder nicht gehäuft Anwohnerbeschwerden gegeben habe. Schließlich beziehe die Verordnung auch Gebiete ein, für die unzumutbare Lärmimmissionen derzeit weder nachgewiesen seien noch überhaupt in Frage stünden.

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteile vom 11. September 2012 – 6 S 937/12 und 6 S 947/12