Die Irrelevanzregelungen der TA Luft sind mit dem Luftreinhalterecht der Europäischen Union und dessen nationalrechtlicher Umsetzung in der 22./39. BImSchV vereinbar.

Die Irrelevanzklauseln der Nr. 4.1 Satz 4 Buchst. c) und Nr.04.02.2 Satz 1 Buchst. a) TA Luft verstoßen als solche weder gegen nationales Recht noch gegen Unionsrecht.
Die immissionsschutzrechtliche Schutzpflicht im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG als Instrument der Gefahrenabwehr kommt dann zum Tragen, wenn die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts besteht. Eine in diesem Sinne gefährdende, die Schutzpflicht auslösende Immissionssituation ist prinzipiell jedem zur Genehmigung gestellten Vorhaben zuzurechnen, das mit seinen Immissionen zu ihr beiträgt. Die Schutzpflicht findet allerdings dort ihre Grenzen, wo aufgrund einer sachverständigen Risikoabschätzung anzunehmen ist, dass das durch den emittierenden Betrieb verursachte Gesundheitsrisiko auch angesichts der bestehenden Vorbelastung irrelevant ist [1]. § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG, der der untergesetzlichen Konkretisierung durch Bestimmungen über die Ermittlung und Bewertung von Immissionen bedarf, steht einer solchen am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierten Bewertung nicht entgegen.
Gleiches gilt angesichts des dem Vorschriftengeber durch § 48 BImSchG eingeräumten Konkretisierungsspielraums auch für die konkrete Ausgestaltung der hier angewandten Irrelevanzklauseln, mit denen die Irrelevanzgrenze von 1,0 vom Hundert (Nr. 2.2.01.1 Buchst. b) aa) TA Luft 1986) auf 3,0 vom Hundert des Immissions-Jahreswertes angehoben worden ist. Mit Rücksicht auf die Konkretisierungsbefugnis des Vorschriftengebers beschränkt sich die gerichtliche Überprüfung der Klauseln auf eine Vertretbarkeitskontrolle. Die Bemessung der Irrelevanzgrenze auf nunmehr 3,0 vom Hundert des Immissions-Jahreswertes beruht auf plausiblen Erwägungen des Vorschriftengebers. Nach der TA Luft a.F. war die Schadstoffbelastung flächenbezogen zu beurteilen. Das hatte zur Folge, dass Belastungswerte von besonders hoch mit Immissionen des Vorhabens beaufschlagten Aufpunkten einer Beurteilungsfläche (vgl. Nr. 2.6.4.2 der TA Luft 1986) nicht selbst die Kenngröße für die Zusatzbelastung bildeten, sondern nur im Wege arithmetischer Mitteilung in sie eingingen. Die Einstufung eines Mittelwertes als irrelevant konnte daher zugleich bedeuten, dass deutlich höhere – in die Mittelung eingegangene – Werte ebenfalls vernachlässigt wurden. Das macht es erforderlich, die Irrelevanzgrenze niedrig anzusetzen, um dem Schutzbedürfnis auch der höher belasteten Aufpunkte zu genügen. Mit dem Übergang vom Flächen- auf den unionsrechtlich geforderten Punktbezug gemäß Nr.04.06.02.6 TA Luft 2002 ist diese Notwendigkeit entfallen [2]; eine großzügigere Bemessung der Irrelevanzgrenze erscheint daher als vertretbar. Dass der Normgeber mit der Anhebung der Irrelevanzgrenze durch die TA Luft 2002 die unterschiedlichen Auswirkungen des punkt- und des flächenbezogenen Beurteilungsverfahrens auf typische Fallkonstellationen auch im Hinblick auf ihm obliegende Schutzpflichten grundlegend verkannt hätte, ist weder von den Beteiligten vorgetragen worden noch sonst ersichtlich.
Die Irrelevanzgrenzen der TA Luft sind ebenso vereinbar mit den Vorgaben und der Zielsetzung der 22. Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 04.06.2007 [3], die im Zeitpunkt der Genehmigungserteilung noch nicht außer Kraft getreten war [4]. Der Umstand, dass in die TA Luft in größerem Ausmaß Grenzwerte des Anhangs I bis III der Tochterrichtlinie 1999/30/EG übernommen worden sind und insoweit Deckungsgleichheit besteht mit den Anforderungen zur Luftreinhaltung in der 22. BImSchV, bedeutet nicht, dass angesichts der höherrangigen normativen Ausgestaltung dieser Anforderungen in der Verordnung für die Anwendung von Irrelevanzschwellen der TA Luft kein Raum mehr bleibt. Denn wie das Unionsrecht zur Luftreinhaltung verfolgt auch die in dessen Umsetzung ergangene Rechtsverordnung einen integrativen, quellenunabhängigen Ansatz, der sich von dem quellen- und anlagenbezogenen Ansatz der TA Luft unterscheidet. Insoweit werden nur für die Behörden gemäß §§ 11 ff. der 22. BImSchV (§§ 27 ff. der 39. BImSchV) unmittelbare Pflichten mit Grenz- und Zielwerten für ihr Handeln begründet. Demgegenüber konkretisiert die TA Luft die von Anlagenbetreibern einzuhaltenden Pflichten und stellt insoweit die Erfüllung von Schutz- und Vorsorgepflichten gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BImSchG sicher. Der flächenbezogene Ansatz der Luftreinhaltung ergänzt damit die quellen- und anlagenbezogenen Regelungen der TA Luft und des Bundes-Immissionsschutzgesetzes [5]. Die TA Luft darf als nachrangige Regelung allerdings keine Luftverschmutzungen zulassen, die bereits für sich genommen die Grenzwerte der 22. BImSchV übersteigen oder sonst vereiteln, dass diese Grenzwerte eingehalten werden können. Soweit nicht besondere, im vorliegenden Fall nicht ersichtliche Umstände entgegenstehen, ist in aller Regel davon auszugehen, dass sich die Einhaltung der Grenzwerte des Luftqualitätsrechts mit den Mitteln der Luftreinhalteplanung sichern lässt [6]. Das Bundesverwaltungsgericht hat daher in mehreren Entscheidungen die Einhaltung der Grenzwerte der 22. BImSchV nicht als Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für die Planfeststellung eines Vorhabens erachtet [7]. Dies gilt gleichermaßen für die immissionsschutzrechtliche Genehmigung.
Auch dem Unionsrecht ist der Gedanke der Irrelevanz nicht fremd. Er kommt etwa dort zum Ausdruck, wo von „signifikanten“ Luftverunreinigungen die Rede ist [8]; die IVU-Richtlinie hebt in Art. 3 Abs. 1 Buchst. b) auf die Erheblichkeit der Umweltverschmutzungen ab. Mit der Richtlinie 96/62/EG des Rates vom 27.09.1996 über die Beurteilung und die Kontrolle der Luftqualität sowie mit der Tochterrichtlinie 1999/30/EG des Rates vom 22.04.1999 über Grenzwerte für Schwefeldioxid u.a. und mit der diese beiden Richtlinien ersetzenden Richtlinie 2008/50/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.05.2008 über Luftqualität und saubere Luft für Europa wird ein quellenunabhängiger Ansatz verfolgt, der nicht die Zulassung einer einzelnen Anlage in den Blick nimmt, sondern allein die Mitgliedstaaten verpflichtet, gebietsbezogen die erforderlichen Maßnahmen zu treffen.
Dem entspricht die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union. In seinem Urteil vom 26.05.2011 [9] zu den Rechtssachen Stichting Natuur en Milieu u.a., welche die Richtlinie 2001/81/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.10.2001 über nationale Emissionshöchstmengen für bestimmte Luftschadstoffe zum Gegenstand haben, geht der Gerichtshof davon aus, dass die festgelegten Ziele angesichts des weiten Handlungsspielraums, über den die Mitgliedstaaten verfügen, nicht unmittelbar auf die Erteilung einer umweltrechtlichen Genehmigung einwirken.
Auf das Verhältnis zwischen einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung und der Luftqualitätsrichtlinie 2008/50/EG ist dies ohne Weiteres übertragbar; hierfür spricht auch die Rechtsauffassung der Kommission. Auf eine parlamentarische Anfrage zum Neubau einer Müllverbrennungsanlage, die trotz Überschreitung der in der Richtlinie 1999/30/EG festgelegten Grenzwerte für Stickstoffdioxid nach Maßgabe von Irrelevanzschwellen der TA Luft genehmigt worden ist, hat sie geantwortet, dass hierin keine Zuwiderhandlung gegen Verpflichtungen aus der Richtlinie zu sehen ist [10]. Im Schreiben vom 20.05.2005 [11] geht sie davon aus, dass die Luftqualitätsrichtlinie und ihre Tochterrichtlinien Ergebnispflichten aufstellen, die individuelle Genehmigungsverfahren unberührt lassen. Eine andere Auslegung wäre weder mit dem Subsidiaritäts- noch mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu vereinbaren.
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 24. Oktober 2013 – 7 C 36.11
- BVerwG, Urteil vom 11.12 2003 – 7 C 19.02, BVerwGE 119, 329, 333 f. = Buchholz 406.25 § 5 BImSchG Nr. 26 S. 4[↩]
- BR-Drs. 1058/01 S. 240; vgl. auch Ludwig, TA Luft, 2. Aufl.2002, S. 14 f.[↩]
- BGBl I S. 1006[↩]
- nunmehr 39. BImSchV vom 02.08.2010, BGBl I S. 1065[↩]
- Bruckmann/Strecker, in: Landmann/Rohmer, a.a.O. 39. BImSchV Vorb. Rn. 64[↩]
- vgl. Halama, in: Berkemann/Halama, Handbuch zum Recht der Bau- und Umweltrichtlinien der EU, 2. Aufl.2011, S. 769 f.[↩]
- zum Fernstraßenrecht Urteile vom 26.05.2004 – 9 A 6.03, BVerwGE 121, 57, 61 = Buchholz 406.25 § 48a BImSchG Nr. 1 S. 5; und vom 23.02.2005 – 4 A 5.04, BVerwGE 123, 23, 27 f. = Buchholz 451.91 Europ. UmweltR Nr. 18 S. 95 f.; Beschluss vom 01.04.2005 – 9 VR 7.05 – NuR 2005, 709, juris Rn. 21[↩]
- vgl. Art. 4 Nr. 2 der Richtlinie 84/360/EWG des Rates vom 28.06.1984 zur Bekämpfung der Luftverunreinigung durch Industrieanlagen[↩]
- EuGH, Urteil vom 26.05.2011 – C‑165 bis 167/09, Slg. 2011, I‑4599[↩]
- E‑2866/2007 DE vom 03.08.2007[↩]
- Beschwerdeverfahren 2003/4840[↩]