Die Habitatrichtlinie und die Ems

Die Mitgliedstaaten dürfen sich nur aus naturschutzfachlichen Gründen weigern, ihr Einvernehmen zu der von der Kommission erstellten Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung zu erteilen. Dies entschied jetzt der Gerichtshof der Europäischen Union in einem Verfahren um den unterhalb von Papenburg geplanten Ems-Ausbau. Die in der Ems geplanten Ausbaggerungen sind, so der EuGH in seinem Urteil, nach der Aufnahme bestimmter Teile dieses Flusses in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung unter Beachtung der allgemeinen Schutzpflicht auszuführen, die sich aus der Habitatrichtlinie der EU ergibt.

Die Habitatrichtlinie und die Ems

Die Habitatrichtlinie[1] sieht in seinem Programm „Natura 2000“ die Errichtung eines kohärentes europäisches ökologisches Netz besonderer Schutzgebiete vor. Dieses Netz besteht aus Gebieten, die die natürlichen Lebensraumtypen und Habitate der Arten umfassen, die in der Richtlinie angegeben werden. Es soll deren Fortbestand oder gegebenenfalls die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes gewährleisten.

Gemäß der Habitatrichtlinie leitet jeder Mitgliedstaat der Kommission eine Liste der Gebiete zu, die für den Schutz als Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung in Frage kommen. Die Kommission erstellt sodann auf der Grundlage naturschutzfachlicher Kriterien im Einvernehmen mit den Mitgliedstaaten die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung. Pläne oder Projekte, die ein geschütztes Gebiet erheblich beeinträchtigen könnten, erfordern auf einzelstaatlicher Ebene eine Prüfung auf Verträglichkeit mit den für das in Rede stehende Gebiet festgelegten Erhaltungszielen. Die einzelstaatlichen Behörden dürfen nur solche Pläne oder Projekte genehmigen, die das betreffende Gebiet nicht beeinträchtigen.

Grundlage der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist eine Klage der Stadt Papenburg, einer Hafenstadt an der Ems in Niedersachsen und Standort einer Werft. Um die Ems zwischen der Meyer-Werft und der Nordsee mit großen Schiffen befahren zu können, muss sie durch Baggerungen vertieft werden. Im Jahr 1994 wurde es der Stadt Papenburg gestattet, den Fluss auszubaggern. Diese Genehmigung ist bestandskräftig und bedeutet, dass zukünftige Bedarfsbaggerungen als genehmigt gelten.

Die Kommission nahm flussabwärts vom Gemeindegebiet der Stadt Papenburg gelegene Teile der Ems in ihren Entwurf einer Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung auf und bat die Bundesrepublik Deutschland, hierzu ihr Einvernehmen zu erteilen. Die Stadt Papenburg erhob daraufhin vor dem Verwaltungsgericht Oldenburg Klage, um zu verhindern, dass Deutschland sein Einvernehmen erteilt, und um sicherzustellen, dass die für die Erhaltung der Schiffbarkeit der Ems notwendigen Baggerungen nicht zukünftig in jedem Einzelfall einer Verträglichkeitsprüfung im Sinne der Richtlinie unterzogen werden müssen.

Das Verwaltungsgericht Oldenburg legte daraufhin in einem Vorabentscheidungsersuchen dem Gerichtshof der Europäischen Union die Frage vor, unter welchen Bedingungen ein Mitgliedstaat sein Einvernehmen zu dem Entwurf einer Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung verweigern darf. Das Verwaltungsgericht möchte außerdem wissen, ob die vorgesehenen fortgesetzten Baggerungen in der Ems, die von den deutschen Behörden vor Ablauf der Umsetzungsfrist der Richtlinie genehmigt wurden, der darin vorgesehenen Prüfung zu unterziehen sind.

Der Gerichtshof der Europäischen Union stellt zunächst fest, dass die Kriterien für die Beurteilung der gemeinschaftlichen Bedeutung eines Gebiets anhand des Ziels der Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen, die in der Richtlinie aufgeführt sind, sowie des Ziels der Kohärenz von Natura 2000 definiert worden sind. Hierbei handelt es sich um Ziele naturschutzfachlicher Art. Folglich dürfen die Mitgliedstaaten ihr Einvernehmen zur Aufnahme eines Gebiets in die von der Kommission erstellte Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung nur aus naturschutzfachlichen Gründen verweigern. Wirtschaftliche, gesellschaftliche und kulturelle Kriterien sowie regionale und örtliche Besonderheiten können nicht als Grundlage einer solchen Verweigerung dienen.

Sodann führt der Gerichtshof aus, dass der Umstand, dass die Ausbaggerungen in der Ems vor Ablauf der Umsetzungsfrist der Richtlinie nach deutschem Recht endgültig genehmigt wurden, als solcher nicht daran hindert, diese Baggerungen bei jedem Eingriff in die Fahrrinne als gesonderte Projekte anzusehen. In diesem Fall ist jedes dieser Projekte, soweit es das betreffende Gebiet erheblich beeinträchtigen könnte, einer Verträglichkeitsprüfung gemäß der Richtlinie zu unterziehen.
Allerdings können die in Rede stehenden Unterhaltungsmaßnahmen, wenn sie unter anderem im Hinblick darauf, dass sie wiederkehrend anfallen, auf ihre Art oder auf die Umstände ihrer Ausführung als einheitliche Maßnahme betrachtet werden können, insbesondere, wenn sie den Zweck haben, eine bestimmte Tiefe der Fahrrinne durch regelmäßige und hierzu erforderliche Ausbaggerungen beizubehalten, als ein einziges Projekt im Sinne der Richtlinie angesehen werden. In diesem Fall unterläge ein solches Projekt, wenn es vor Ablauf der Umsetzungsfrist der Richtlinie genehmigt wurde, nicht der Ex-ante-Prüfung auf seine Auswirkungen auf das betreffende Gebiet.

Sobald jedoch ein Gebiet in der von der Kommission festgelegten Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung aufgeführt wird, unterliegt jede Ausführung von Arbeiten einer allgemeinen Schutzpflicht, die sich aus der Richtlinie ergibt und darin besteht, Verschlechterungen der natürlichen Lebensräume und der Habitate der Arten sowie erhebliche Beeinträchtigungen der Arten, für die das Schutzgebiet bestimmt wurde, zu vermeiden.

Schließlich stellt der Gerichtshof noch klar, dass, sobald ein Gebiet in einer der Kommission im Hinblick auf ihre Aufnahme in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung übermittelten nationalen Liste aufgeführt ist, dieses Gebiet keinen Eingriffen ausgesetzt werden darf, die seine ökologischen Merkmale ernsthaft beeinträchtigen könnten.

Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil vom 14. Januar 2010 – C-226/08 (Stadt Papenburg / Bundesrepublik Deutschland)

  1. Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (ABl. L 206 S. 7) in der durch die Richtlinie 2006/105/EG des Rates vom 20. November 2006 (ABl. L 363, S. 368) geänderten Fassung.[]