Das Steinkohle-Großkraftwerk und die Klagebefugnis der Umweltverbände

Im Rahmen der Verbandsklage nach Maßgabe des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes beschränkt sich die Prüfung auf Rechtsvorschriften, die dem Umweltschutz dienen.

Das Steinkohle-Großkraftwerk und die Klagebefugnis der Umweltverbände

Ein Umweltverband kann weder nach nationalem Recht noch nach Unionsrecht eine umfassende objektiv-rechtliche Rechtmäßigkeitsprüfung des angegriffenen Genehmigungsbescheides einfordern. Weder auf der Grundlage nationalen Rechts noch auf der Grundlage von Unionsrecht kann der Kläger eine über die Rechtsvorschriften zum Schutz der Umwelt hinausgehende umfassende Rechtmäßigkeitskontrolle des angegriffenen Genehmigungsbescheides beanspruchen.

23 a)) Der Umfang der gerichtlichen Überprüfung bemisst sich für die vom Kläger erhobene Verbandsklage nach § 2 des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes – UmwRG – in der Fassung vom 08.04.2013[1]. Der Anwendungsbereich des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes ist gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a)) i.V.m. § 5 Abs.04. UmwRG eröffnet, da die der Beigeladenen erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung eine Entscheidung im Sinne von § 2 Abs. 3 Nr. 1 UVPG über die Zulässigkeit eines Vorhabens darstellt, für das gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 UVPG i.V.m. Nr.01.01.1 der Anlage 1 zu diesem Gesetz eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist. Nach § 2 Abs. 5 Nr. 1 UmwRG setzt die Begründetheit der Klage voraus, dass die Entscheidung gegen Rechtsvorschriften verstößt, die dem Umweltschutz dienen. Das schließt eine umfassende, über die Frage der Beachtung umweltrechtlicher Vorschriften hinausgehende Rechtmäßigkeitsprüfung aus. Der Prüfungsumfang korrespondiert daher mit den Vorgaben für die Klagebefugnis anerkannter Umweltvereinigungen, die gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG davon abhängt, dass die Vereinigung geltend macht, die angefochtene Entscheidung widerspreche einer dem Umweltschutz dienenden Rechtsvorschrift. Rügen, die keinen Bezug zu umweltrechtlichen Belangen aufweisen, können einer Verbandsklage deshalb nicht zum Erfolg verhelfen[2]. Nach nationalem Recht ist die Rolle der Umweltverbände die eines „Anwalts der Umwelt“[3], nicht hingegen die eines allzuständigen Sachwalters der Interessen der Allgemeinheit. Hieran ist für Klagerechte auch nach Maßgabe des novellierten Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes festzuhalten.

24 b)) Diese Beschränkung des Verbandsklagerechts steht in Übereinstimmung mit übergeordnetem Unionsrecht, nämlich mit den im Zeitpunkt der Genehmigungserteilung geltenden Art. 10a der Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27.06.1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten[4] und Art. 9 Abs. 2 des Aarhus-Übereinkommens[5], das von allen Mitgliedstaaten der Union sowie von dieser selbst ratifiziert worden ist und als so genanntes gemischtes Abkommen Teil des Unionsrechts ist. Trotz ihres weiten, übereinstimmenden Wortlauts sind Art. 10a Abs. 1 UVP-RL a.F. und Art. 9 Abs. 2 Unterabs. 1 AK, die Mitgliedern der betroffenen Öffentlichkeit die Möglichkeit einräumen, „die materiellrechtliche und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit von Entscheidungen … anzufechten“, nicht als Anordnung einer umfassenden Prüfung in jeglicher rechtlicher Hinsicht zu verstehen. Vielmehr ist sowohl nach dem Sinn und Zweck dieser Regelungen des Unionsrechts als auch nach deren Einbindung in den systematischen Kontext der Gesamtregelungen über die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Zugang zu den Gerichten davon auszugehen, dass sich mit der Forderung nach einer materiellrechtlichen und verfahrensrechtlichen Rechtmäßigkeitsprüfung nicht zugleich eine Festlegung über deren Umfang verbindet. Diese Prüfungsverpflichtung beschränkt sich vielmehr auf Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Öffentlichkeitsbeteiligung in Umweltsachen bzw. der Öffentlichkeitsbeteiligung bei der Ausarbeitung umweltbezogener Pläne. Neben den Überschriften verdeutlichen vor allem die Erwägungsgründe der Konvention und der Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie vom 26.05.2003 die Ausrichtung dieser Regelungen auf den Schutz der Umwelt. Zentrales Anliegen der Konvention ist nach deren Erwägungsgründen der auch durch die Beteiligung der Öffentlichkeit und deren Zugang zu wirkungsvollen gerichtlichen Mechanismen zu gewährleistende Schutz einer intakten Umwelt; die Erwägungsgründe der Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie nehmen u.a. Bezug auf unionsrechtliche Umweltvorschriften und auf vom Umweltschutz bestimmte Ziele der Aarhus-Konvention. Gemäß Art. 1 Abs. 2 Unterabs. 5 UVP-RL a.F. sind klagebefugte Nichtregierungsorganisationen als Teil der betroffenen Öffentlichkeit nur solche, die sich für den Umweltschutz einsetzen; Entsprechendes folgt aus Art. 2 Nr. 5 AK. In diesem Rahmen bestimmen gemäß Art. 10a Satz 3 UVP-RL a.F. die Mitgliedstaaten, welche konkreten Rechtsverletzungen gerügt werden können; hiermit verbindet sich nicht die Festlegung auf einen über die Belange der Umwelt hinausgehenden objektiv-rechtlichen Prüfungsmaßstab.

25 Dem kann nicht entgegengehalten werden, dem in der Aarhus-Konvention und im Richtlinienrecht vorausgesetzten Bezug zum Umweltschutz werde schon dadurch ausreichend Rechnung getragen, dass nur UVP-pflichtige Maßnahmen anfechtbar seien und Klagerechte nur solchen Vereinigungen eröffnet seien, die Ziele des Umweltschutzes verfolgen. Auch unter diesen Voraussetzungen hat eine Vollüberprüfung gemessen an dem Ziel, die Umwelt zu schützen, eine überschießende Tendenz; denn sie würde den Schutz der Umwelt über die einschlägigen umweltrechtlichen Vorgaben hinaus ausdehnen.

26 Auch die begrenzte Regelungskompetenz der Union steht einer Auslegung des Art. 10a Abs. 1 UVP-RL a.F. als einer über den Schutz der Umwelt hinausgehenden Bestimmung des gerichtlichen Kontrollumfangs entgegen. Hierauf bezogen kann sich die Union allein auf die in Art.191 f. AEUV begründete Zuständigkeit für Regelungen über den Schutz der Umwelt berufen; nur in einem Annex hierzu und damit auf das Umweltrecht beschränkt kommt der Union die Kompetenz für Regelungen über den gebotenen Rechtsschutz zu[6].

27 Dem entspricht die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union. In seinem Urteil vom 12.05.2011[7] befasst sich dieser zwar in erster Linie mit der Zulässigkeit des Rechtsbehelfs[8] und fordert eine Auslegung des Art. 10a Abs. 1 und 3 der UVP-Richtlinie im Licht und unter Berücksichtigung der Ziele der Aarhus-Konvention. Dabei ist es Sache der Mitgliedstaaten festzulegen, welches die Rechte sind, deren Verletzung zu einem Rechtsbehelf in Umweltangelegenheiten führen kann[9]. Im Tenor der Entscheidung und in ihren Gründen[10] kommt aber auch der über die Zulässigkeitsanforderungen des Rechtsbehelfs hinausreichende und zugleich inhaltlich beschränkende Ansatz zum Ausdruck, dass unionsrechtliche und unionsrechtlich veranlasste Vorschriften, die den Umweltschutz bezwecken, gerichtlicher Prüfung nicht entzogen sein dürfen. Einen weitergehenden Rechtsschutz fordert das Unionsrecht für eine Verbandsklage somit nicht ein. Entgegen der Revision ist dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 18.10.2011[11] nichts anderes zu entnehmen. Der Gerichtshof verweist erneut darauf, dass mit Blick auf Art. 9 Abs. 2 AK und Art. 10a UVP-RL die Mitgliedstaaten die Möglichkeit eines Überprüfungsverfahrens vorsehen müssen, damit vor einem Gericht die materiellrechtliche und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit von Entscheidungen angefochten werden kann, die vom Geltungsbereich des Art. 6 der Aarhus-Konvention oder der UVP-Richtlinie erfasst werden. Die Mitgliedstaaten verfügen aufgrund ihrer Verfahrensautonomie und vorbehaltlich der Einhaltung der Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität aber über einen Gestaltungsspielraum bei der Durchführung von Art. 9 Abs. 2 AK und Art. 10a der UVP-RL[12].

28 Diese Auslegung der Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie und der Aarhus-Konvention begegnet angesichts der erwähnten Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union keinen vernünftigen Zweifeln; einer erneuten Vorlage an den Gerichtshof gemäß Art. 267 AEUV zur Auslegung des Verbandsklagerechts nach Art. 9 Abs. 2 AK und Art. 10a UVP-RL a.F. bedurfte es daher nicht.

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 24. Oktober 2013 – 7 C 36.11

  1. BGBl I S. 753[]
  2. vgl. BVerwG, Urteil vom 10.10.2012 – 9 A 18.11, BVerwGE 144, 243 Rn. 18 = Buchholz 406.254 UmwRG Nr. 9[]
  3. BVerwG, Urteil vom 14.05.1997 – 11 A 43.96, BVerwGE 104, 367, 371 m.w.N. = Buchholz 442.09 § 18 AEG Nr. 26 S. 133[]
  4. nunmehr Art. 11 der Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12 2011 – UVP-RL[]
  5. Aarhus-Konvention – AK []
  6. vgl. Epiney, EurUP 2012, 88, 91[]
  7. Rs. C-115/09, Trianel, Slg. 2011, I-3673 = NJW 2011, 2779[]
  8. Rn. 38 ff.[]
  9. Rn. 44[]
  10. Rn. 48[]
  11. Rs. C-128/09, Boxus u.a., Slg. 2011, I-9711 = ZUR 2012, 170[]
  12. Rn. 51 f.[]