Eine Biogasanlage, die in ihrer Vergärungsanlage (Fermenter) Gülle sowie Küchen- und Speiseabfälle als Einsatzstoffe für die Herstellung und anschließende Verbrennung von Biogas verwendet, bedarf nach einer aktuellen Entscheidung des Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in Mannheim keiner immissionsschutzrechtlichen Genehmigung nach § 1 Abs. 1 4. BImSchV i.V.m. Nr. 8.6 Spalte 2 Buchst. a und b des Anhangs, weil diese Einsatzstoffe gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1a KrW-/AbfG i.V.m. der Verordnung (EG) Nr. 1774/2002 (EG-TierNebVO) nicht dem Anwendungsbereich des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes unterfallen.

Die Fermenter-Anlage unterfällt nicht § 1 der 4. BImSchV i.V.m. Nr. 8.6 Spalte 2 Buchst. a und b des Anhangs. Danach sind genehmigungspflichtig Anlagen zur biologischen Behandlung von
- gefährlichen Abfällen, auf die die Vorschriften des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes Anwendung finden, mit einer Durchsatzleistung von 1 Tonne bis weniger als 10 Tonnen Abfällen/Tag oder
- nicht gefährlichen Abfällen, auf die die Vorschriften des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes Anwendung finden, mit einer Durchsatzleistung von 10 Tonnen bis weniger als 50 Tonnen Abfällen/Tag, ausgenommen Anlagen, die durch Nr. 8.5 oder 8.7 erfasst werden.
Diese Voraussetzungen liegen hinsichtlich der Einsatzstoffe, die in der Fermenter-Anlage zur Erzeugung von Biogas verwendet werden sollen, nicht vor. Es sollen Wirtschaftsdünger (Gülle), nachwachsende Rohstoffe und Speisereste als Einsatzstoffe verwendet werden.
Als nachwachsender Rohstoff wird Grassilage aus dem eigenen Betrieb des Beigeladenen eingesetzt. Abgesehen davon, dass dieser Einsatzstoff kein Abfall i.S.d. § 3 Abs. 1 bis 4 KrW-/AbfG darstellt, liegen die Voraussetzungen der Nr. 8.6 Spalte 2 Buchst. a und b des Anhangs zur 4. BImSchV auch deshalb nicht vor, weil die zum Einsatz kommende Menge von 300 Tonnen/Jahr die in dieser Anlagenbezeichnung aufgeführten Durchsatz-leistungen nicht erreicht.
Auch die weiteren Einsatzstoffe Gülle und Speisereste unterfallen nicht Nr. 8.6 Spalte 1 Buchst. a und b des Anhangs zur 4. BImSchV. Denn auf diese Einsatzstoffe finden die Vorschriften des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes keine Anwendung. Dies ergibt sich aus § 2 Abs. 2 Nr. 1 a KrW-/AbfG. Danach gelten die Vorschriften dieses Gesetzes nicht für die nach der Europäischen Tierische Nebenprodukte-Verordnung[1] in der jeweils geltenden Fassung, nach den zu ihrer Durchführung ergangenen Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft, nach dem Tierische Nebenprodukte-Beseitigungsgesetz oder nach den aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen abzuholenden, zu sammelnden, zu befördernden, zu lagernden, zu behandelnden, zu verarbeitenden, zu verwendenden, zu beseitigenden oder in der Verkehr zu bringenden tierischen Nebenprodukte. Zwar mögen Gülle und Speisereste Abfälle i.S.d. § 3 Abs. 1 – 4 KrW-/AbfG nach den dortigen Begriffsbestimmungen sein. Sie wurden jedoch durch § 2 Abs. 2 Nr. 1 a KrW-/AbfG dem Rechtsregime des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes entzogen[2].
Nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. a EG-TierNebVO wird Gülle als Material der Kategorie 2 eingestuft. Es kann als unverarbeiteter Rohstoff direkt in einer technischen Anlage, Biogas- oder Kompostieranlage verwendet oder auf Böden ausgebracht werden (Art. 5 Abs. 2 Buchst. e EG-TierNebVO).
Nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. l EG-TierNebVO werden andere Küchen- und Speiseabfälle als die in Art. 4 Abs. 1 Buchst. e genannten (das sind Küchen- und Speiseabfälle von Beförderungsmitteln im grenzüberschreitenden Verkehr) als Material der Kategorie 3 eingestuft. Zwar bestimmt Art. 1 Abs. 2 Buchst. e EG-TierNebVO, dass diese Verordnung nicht für Küchen- und Speiseabfälle gilt; sie macht hiervon indessen eine Ausnahme in Art. 2 Abs. 2 Buchst. e iii) EG-TierNebVO, wenn Küchen- und Speiseabfälle – wie hier – für die Verwendung in einer Biogasanlage oder zur Kompostierung bestimmt sind. Küchen- und Speiseabfälle werden daher in den Geltungsbereich der EG-TierNebVO mit den oben aufgezeigten Voraussetzungen einbezogen, obwohl sie eigentlich nicht für Lebensmittel (für den menschlichen Verzehr bestimmte Erzeugnisse) anwendbar ist. Damit sollen Überschneidungen mit dem Abfallrecht vermieden und die Entwicklung neuer umweltrechtlicher Vorschriften für biologisch abbaubare Abfälle ermöglicht werden[3].
In dem jetzt vom Verwaltungsgerichthof Baden-Württemberg entschiedenen Rechtsstreit befindet sich am Standort der Biogasanlage ein Zwischenbehandlungsbetrieb zur Aufbereitung von Speiseresten gemäß Art. 10 EG-TierNebVO mit veterinärrechtlicher Zulassung durch das Regierungspräsidium Freiburg. Demnach dürfen tierische Nebenprodukte der Kategorie 3 angenommen, aufbereitet und abgegeben werden. Dabei werden ausschließlich Speisereste, d.h. tierische Nebenprodukte der Kategorie 3 angenommen, aufbereitet (hygieni-siert) und eingesetzt bzw. abgegeben. Gülle als Material der Kategorie 2 nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. a EG-TierNebVO und Küchen- und Speisereste als Material der Kategorie 3 gemäß Art. 6 Abs. 1 Buchst. l i.V.m. Art. 1 Abs. 2 Buchst. e iii) EG-TierNebVO unterliegen daher ausschließlich der Europäischen Tierische Nebenprodukte-Verordnung[4]; auf diese Einsatzstoffe finden gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1 a KrW-/AbfG die Vorschriften des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz deshalb keine Anwendung. Mithin bedurfte die genehmigte Fermenter-Anlage hinsichtlich der gleichzeitig mit genehmigten Einsatzstoffe keiner Genehmigung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 der 4. BImSchV i.V.m. Anhang Nr. 8.6 Spalte 2 Buchst. a und b. Etwas anderes folgt auch nicht aus Nr. 9.36 Spalte 2 des Anhangs zur 4. BImSchV. Denn die Lagerung der vorgesehenen Menge an Gülle unterschreitet das dort aufgeführte Volumen von mindestens 6.500 m³.
Soweit die Antragsteller auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 11.12.2008[5] verweisen, rechtfertigt dies keine andere Beurteilung. Zwar war Gegenstand dieses Urteils eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung über die Errichtung und den Betrieb einer Biogasanlage. Gleichwohl ist der dort zur Entscheidung stehende Sachverhalt mit dem vorliegenden nicht zu vergleichen. Denn die im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aufgeführten Einsatzstoffe unterscheiden sich in wesentlichen Teilen von den vorliegenden. Neben 1.200 Tonnen Pferdemist sollten dort 8.200 Tonnen Triticale mit Untersaat sowie 6.600 Tonnen kommunaler Grünschredder (kompostierbare Abfälle) zum Einsatz kommen. Zwar mag für den Pferdemist die EG-TierNebVO Geltung beanspruchen, für die beiden weiteren Einsatzstoffe Triticale und Grünschredder gilt dies indessen ersichtlich nicht.
Ebenso wenig vermag die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 16.02.2010[6] eine andere Beurteilung zu begründen. Denn in der dortigen Entscheidung ging es um ein Kleintierkrematorium für die Verbrennung von „Heimtieren“. Das Oberverwaltungsgericht ordnete das Kleintierkrematorium Nr. 8.1 Buchst. a des Anhangs zur 4. BImSchV zu. Die Voraussetzungen dieser Anlagenbezeichnung enthalten nicht – wie Nr. 8.6 Spalte 2 Buchst. a und b – den Vorbehalt, dass es sich um Abfall handelt, auf den das Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz Anwendung findet. Zudem sah das Oberverwaltungsgericht im dortigen Sachverhalt eine Ausnahme von der EG-TierNebVO als erfüllt an.
Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 12. April 2010 -3 S 2786/09
- Verordnung (EG) Nr. 1774/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 03.10.2002 mit Hygienevorschriften für nicht für den menschlichen Verzehr bestimmte tierische Nebenprodukte, ABl. EG Nr. L 273 S. 1[↩]
- vgl. zu diesem gesonderten Ausschlusstatbestand für die sogenannten tierischen Nebenprodukte Beckmann/Kersting, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Bd. III [sonstiges Umweltrecht], § 2 KrW-/AbfG, Rn. 31 a u. 31d; Breuer, in: Jarass/Peter-sen/Weidemann, KrW-/AbfG, § 2 Rn. 30; Fluck/Strack, in: Fluck, KrW-/Abf.- u. BodSchR, Bd. 5, Komm. z. TierNebR, Ordnungs-Nr. 5.800, Einführung, Rn. 1 und 54[↩]
- vgl. Fluck/Strack, a.a.O., Rn. 127[↩]
- EG-VO Nr. 1774/2002[↩]
- BVerwG, Urteil vom 11.12.2008 – 7 C 6.08, BVerwGE 132, 372 = NVwZ 2009, 585[↩]
- OVG RLP – 1 B 11384/09.OVG[↩]